Unabhängigen und diversen Journalismus stärken sowie Medienkompetenz und Meinungsbildung fördern: Das ist die Devise des App-Entwicklers Articlett. Dahinter steckt aktuell ein Team aus sieben Leuten mit Hintergründen in Informatik, Physik, Pädagogik, Psychologie, Design und Medienwissenschaft. Die aktuelle Projektförderung erstreckt sich bis April 2024.
Ein Interview mit Articlett-Gründer Jonas Lerch
Mit welcher Motivation habt ihr Articlett ins Leben gerufen?
Ursprünglich haben wir ja einen Aggregator für journalistische Inhalte gebaut, der in einem flexiblen Abo vor allem Inhalte hinter Paywalls zugänglich machen sollte. Das ist tatsächlich aus dem Grund entstanden, dass wir keine attraktiven Journalismus-Angebote für eine junge Zielgruppe gesehen haben. Es fehlt an Möglichkeiten für junge Menschen, die von verschiedenen Medienangeboten lesen möchten, ohne mehrere Einzelabos abschließen zu müssen.
Gleichzeitig haben wir mit Sorge die schwindende Reichweite und die dadurch geschwächte Position der journalistischen Medien, insbesondere der Zeitungen, verfolgt. Wenn dieses Informationsvakuum online durch Desinformation, Verschwörungsgläubige und anderweitig interessengesteuerten Angeboten eingenommen wird, dann haben wir als Demokratie ein echtes Problem. Ich glaube, die letzten Jahre haben eindrücklich gezeigt, was passieren kann, wenn sich ganze Bevölkerungsteile von faktenbasierten Diskursen abwenden und sowas wie ein wissenschaftsbasierter Grundkonsens abhandenkommt. Mit dem Aufstieg von generativer KI sehen wir da gewaltige Herausforderungen und Gefahren auf die Gesellschaft zukommen. Die wirksamste Antwort darauf wäre entsprechende Medienbildung. Aber da hinken wir als Gesellschaft meilenweit hinterher. Und genau da möchten wir von Articlett mit unseren Unterrichtseinheiten für zukunftsfähige Medienkompetenz ansetzen.
Wie sah der Entwicklungsprozess bis zur fertigen App bzw. zu den fertigen Inhalten aus?
Basierend auf der Projektidee und den -zielen haben wir zu Beginn überlegt, welche Inhalte wir umsetzen wollen und wie wir unsere Kompetenzen in das Gesamtkonzept einbringen können. Wir arbeiten dabei in Unterrichtseinheiten, die wir teilweise parallel produzieren. Eine Unterrichtseinheit ist eine für sich abgeschlossene inhaltliche Einheit, die meistens zwei Schulstunden umfasst und auch im Kontext eines Überthemas (wie z.B. KI) stehen kann.
Und wie gestaltet sich der Prozess zur Entwicklung neuer Materialien?
Eine Unterrichtseinheit hat mehrere Dimensionen, die wir bei der Entwicklung berücksichtigen müssen. Inhaltlich muss natürlich alles stimmen und wir müssen schauen, wie wir komplexe Themen niedrigschwellig vermitteln können. Zu solchen Themen zählt beispielweise die Funktionsweise von bestimmten KI-Konzepten. Gleichzeitig wollen wir trotzdem möglichst weit in die Tiefe gehen. Hier kommt dann auch die didaktische Dimension ins Spiel. Schließlich gibt es auch noch das Design und die technische Komponente, die je nach Einheit sehr aufwändig sein kann und gute Planung benötigt. Für diese Bereiche gibt es Hauptverantwortliche, die sich dann Ressourcen und Kompetenzen aus dem Team dazu holen. Da Medienkompetenz in der Regel leider keinen eigenen Platz im Lehrplan hat, versuchen wir außerdem Anknüpfungspunkte an die Inhalte verschiedener Fächer zu schaffen. Beispielsweise lassen sich die Grundzüge des Tiktok-Algorithmus prima im Matheunterricht behandeln. So wird das häufig ungeliebte Fach Mathematik vielleicht auch etwas spannender und lebensnaher.
Welche Formen von Materialien bietet ihr an und zu welchen Themen?
Wie zuvor schon kurz angesprochen, drehen sich unsere Materialien um Medienkompetenz und gehen vor allem der Frage nach: Wie sieht Medienkompetenz in Zukunft aus und was muss ich dafür können? Häufig stehen dabei Themen rund um generative KI (also Text-, Bild- oder Audiosynthese) im Mittelpunkt, da diese Technologien unser Leben maßgeblich verändern werden. Zukünftig wird es enorm schwer bis unmöglich, echte Inhalte von Inhalten mit irreführender Absicht zu trennen. Unser Anspruch liegt zum einen darin, Schüler*innen zu ermöglichen, diese Technologien sowie ihre Gefahren und Chancen im Unterricht zu erleben. Zum anderen möchten wir aber allen Lehrkräften unabhängig von ihrem eigenen Digitalwissen die spannende und anspruchsvolle Vermittlung dieser Inhalte ermöglichen.
Unsere Unterrichtseinheiten sind daher komplette, fertige Unterrichtsstunden, die Lehrkräfte mit minimaler Vorbereitungszeit und Vorwissen umsetzen können und die sich darüber hinaus individuell anpassen lassen. Wir liefern einen Stundenablaufplan, anpassbare Präsentationen mit Speaker Notes, Arbeitsblätter und Info-Plakate. Die meisten unserer Einheiten verfügen über einen „digitalen Kern“, also eine Komponente, mit der Schüler*innen spielerisch Medienkompetenz trainieren. Je nach Unterrichtseinheit sieht das ganz unterschiedlich aus. Für unsere Einheit zu Desinformation und Social Media gibt es ein Spiel, bei dem sich verschiedene online Recherchetechniken erlernen lassen. In „Spot-if-AI“ lernen Schüler*innen wie man gut promptet (Anweisungen an eine KI geben) und wie leicht sich überzeugend wirkende Fälschungen von Texten und Bildern erzeugen lassen. Außerdem bieten wir einen eigenen Zugang zu ChatGPT und Bildgenerierung an.
Wir bieten Lehrkräften auch an, direkt an Schulen zu kommen und dort Workshops zu halten. In mehreren Bundesländern haben wir sogar schon Lehrkräfte fortgebildet.
Eure Zielgruppen sind also sowohl Schüler*innen als auch Lehrkräfte?
Genau, wir sprechen mit unserem Bildungsangebot Lehrkräfte an und darüber natürlich auch die Schüler*innen, die wir ja letztendlich fit in Medienkompetenz für die Zukunft machen wollen.
Über welche Wege verteilt ihr eure Materialien und erreicht eure Zielgruppen?
Wir setzen vor allem auf Kooperationen mit institutionellen Partner*innen. Diese können aus dem Medienbereich sein – hier verfügen wir ja durch unsere Journalismus-App schon über umfangreiche Kontakte – oder auch Stiftungen, Landesmedienzentren oder andere Medienkompetenz-Initiativen. Manchmal geht es bei den Kooperationen vor allem um Reichweite, wir haben aber auch schon inhaltliche Kooperationen umgesetzt.
Warum veröffentlicht ihr als OER?
Uns ist es wichtig, möglichst viele Menschen mit unseren Inhalten zu erreichen. Gerade vor dem Hintergrund, dass durch die zunehmenden Fähigkeiten generativer KI ganz neue gesellschaftliche Herausforderungen auf uns warten und daher ein großer Handlungsdruck besteht. Wir haben deshalb von Anfang an darauf geachtet, die Hürden und Einarbeitungszeit möglichst gering zu gestalten. Wichtig ist uns, dass wir als Anbieter sichtbar werden, um uns als Anlaufstelle für zukunftssichere Medienkompetenz zu etablieren.
Kleiner Spoiler am Ende: Welche Pläne und Ziele habt ihr für die Zukunft?
Aktuell haben wir noch einige Unterrichtseinheiten, die in der Umsetzung sind. So schnell gehen uns da auch die Ideen nicht aus. Langfristig werden wir unser Angebot an nützlichen Tools für den Unterricht (wie etwa der KI-Zugang) noch ausbauen.