„OER kann in der Nutzung kostenlos und in der Produktion bezahlt sein!“

Interview mit Autor Jöran Muuß-Merholz über sein neues Buch „Barcamps & Co.“

Collage Jöran mit Buch, Foto: Chris Dies, Agentur J&K – Jöran und Konsorten für OERinfo, Informationsstelle OER, CC BY 4.0.

Auch das neue Buch von Jöran Muuß-Merholz „Barcamps & Co. Peer to Peer-Methoden für Fortbildungen“ wurde als OER unter freier Lizenz veröffentlicht. Im Interview mit OERinfo spricht Jöran Muuß-Merholz über das Geschäftsmodell hinter diesem Buch und macht deutlich, warum bei der praktischen Arbeit mit OER jede einschränkende Auflage über CC BY hinaus zu aufwändig für die Praxis ist.

OERinfo: Jöran, Dein neues Buch heißt: „Barcamps & Co. Peer to Peer-Methoden für Fortbildungen“. Wie kam es dazu?
Jöran Muuß-Merholz: Das Buch stammt aus unserer Arbeit mit den OERcamps, die wir seit 2012 veranstalten. Davor und daneben haben wir noch viele andere Barcamps konzipiert und organisiert. Ich bin überzeugt, dass Barcamps eine hervorragend Möglichkeit zum Aufbau von lernenden Gemeinschaften bieten. Barcamps bedeutet: Lernen voneinander, Lernen miteinander. Das Format eignet sich sowohl dazu, Know-How weiterzugeben und Erfahrungen auszutauschen als auch dazu, ein Themenfeld gemeinsam weiterzuentwickeln und neue Dinge herauszufinden. Das Buch verfolgt die Idee, die Erfahrungen mit solchen Veranstaltungen weiterzugeben, so dass mehr Menschen an allen möglichen Orten selbst Barcamps auf die Beine stellen können.

OERinfo: Sprechen wir über die Lizenzierung. Wie verdienen Autor und Verlag trotzdem Geld mit so einem Buch, das komplett frei verfügbar ist?
Jöran Muuß-Merholz: Das Buch ist ein gutes Beispiel dafür, dass bei OER die Nutzung des Materials kostenlos sein kann und gleichzeitig die Produzenten dafür bezahlt werden. In diesem Fall war es so: Wir haben ein Budget in der BMBF-Förderung für die OERcamps dafür genutzt. Der Autor (das bin ich) hat 1.950 Euro für Konzeption und Koordination des Buches bekommen. Der Verlag (Beltz) hat 15.000 Euro für die ersten 750 Bücher bekommen. Wir haben dem Verlag zugesichert, dass wir die erste Auflage von 750 Büchern komplett aufkaufen. Im Gegenzug hat der Verlag zugestimmt, dass 1. wir ein tolles Buch zusammen machen, 2. das Buch unter der Lizenz CC BY 4.0 veröffentlicht wird und zwar 3. von Anfang an nicht nur als PDF zum Download, sondern auch als editierbare Form (als Manuskript in Google Docs und als InDesign-Datei). Damit ist das Buch auch als E-Book kostenlos erhältlich, ob bei Beltz selbst oder in der Kindle-Edition.

Jöran Muuß-Merholz. Foto von Hannah Birr, CC BY 4.0
Jöran Muuß-Merholz. Foto von Hannah Birr, CC BY 4.0
Jöran Muuß-Merholz ist Diplom-Pädagoge, Inhaber der Agentur Jöran und Konsorten und Autor des Buches „Barcamps & Co. Peer to Peer-Methoden für Fortbildungen”, erschienen 2019 bei Beltz, ISBN: 978-3407366993

Handout und Bedienungsanleitung für Barcamp-Macher*innen

OERinfo: Was passiert mit den 750 Büchern?
Jöran Muuß-Merholz: Die Bücher bekommen Teilnehmende der OERcamps. Dort gibt es seit 2019 einen zusätzlichen Schwerpunkt: Wir veranstalten Workshops bei OERcamps und Intensivtrainings „How To Barcamp“ (z.B. am 10. und 11. März 2020 in Bonn). Darin geben wir unsere Erfahrungen bei der Konzeption und Organisation von Barcamps weiter. Das Buch ist dann quasi Handout und Bedienungsanleitung dazu.

OERinfo: Das Buch ist bei einem „ganz normalen“ Verlag erschienen – und trotzdem unter offener Lizenz und komplett zum freien Download veröffentlicht. Das ist noch immer ungewöhnlich.

Jöran Muuß-Merholz: Es ist ja nicht das erste Buch, das so entstanden ist. Für mein Buch „Freie Unterrichtsmaterialien finden, rechtssicher einsetzen, selbst machen und teilen“ hatte sich der Verlag auch schon auf dieses Modell eingelassen.

OERinfo: Damals hatte OERinfo auch schon darüber berichtet. Es gab da aber noch nicht die „Mindestabnahme“ für den Verlag, oder? Hat der Verlag denn damit Geld verdienen können?
Jöran Muuß-Merholz: Das muss der Verlag beantworten.

OERinfo: Gab es mehr Aufwand durch die Erstellung als OER?
Jöran Muuß-Merholz: Wenn man das von Anfang an mitdenkt, ist es gar nicht so schwierig. Man muss halt in allen Schritten die freien Lizenzen mitdenken, ob das bei Abbildungen oder Fotos ist, bei Icons, längeren Übernahmen etc. ist. Wichtig ist auf jeden Fall, dass man es konsequent macht. Wenn man am Ende ein Werk hat, das zu 99% frei lizenziert ist, kann man es halt gar nicht weitergeben. Das ist dann schwarz oder weiß, nicht nur eine 1%-Unterscheidung. Klingt banal, ist aber sehr wichtig.

Das Buch Barcamps & Co. Peer to Peer-Methoden für Fortbildungen gibt konkrete Anleitungen und Tipps für Selbstlernende und diejenigen, die sie dabei unterstützen. Ausgangspunkt ist das Format Barcamp – eine „Unkonferenz“, deren Programm von den Teilnehmenden selbst gestaltet wird. Die Vorbereitung und Durchführung von Barcamps werden Schritt für Schritt beschrieben. Zahlreiche Tipps und Tricks, Materialien und Details, Vorlagen und Checklisten unterstützen bei der konkreten Umsetzung.
Im zweiten Teil des Buchs werden 10 weitere Formate für die Selbstfortbildung in kompakten Steckbriefen vorgestellt. Eine Sammlung von P2P-Methoden zur Ergänzung und Variation des P2P-Lernens rundet das Buch ab.
Informationen zum Buch und zu den Materialien gibt es auf https://www.selbstlernen.net/materialien/

„Der Mehraufwand entsteht nicht speziell für OER.“

OERinfo: Das klingt schon nach einem gewissen Mehraufwand …
Jöran Muuß-Merholz: Ich bin nicht so sicher. Ja, es ist aufwändig, wenn man konsequent auf freie Lizenzen setzen will. Aber es ist auch eine Arbeitserleichterung. Denn man kann ja auch Bilder oder Texte von Dritten einfach übernehmen, ohne sich um individuelle Erlaubnisse kümmern zu müssen. Meine Vermutung ist: Der Mehraufwand entsteht nicht speziell für OER sondern dann, wenn man *konsequent und genau* arbeitet – unabhängig davon, ob man die urheberrechtlichen Fragen durch Einzellizenzen oder durch offene Lizenzen klärt.

OERinfo: Warum ist die Wahl der Lizenz auf die recht freie CC BY gefallen und nicht etwa auf CC BY-SA oder CC BY-NC?
Jöran Muuß-Merholz: Wenn man praktisch mit OER arbeitet, dann stellt man schnell fest, dass jede zusätzliche Auflage bei der Lizenzierung viel Arbeit in der Nachnutzung mit sich bringt. Auflagen sind Einschränkungen. Wenn ich in diesem Buch mit BY-SA- oder BY-NC-Materialien hätte arbeiten müssen, hätte ich das Buch nicht machen können. Und dann wäre es doch hanebüchen, selbst eine Lizenz zu wählen, die wieder für Andere die Weiterarbeit erschwert oder verhindert. Je länger ich selbst mit freien Lizenzen arbeite, desto mehr bin ich überzeugt, dass jede Auflage über CC BY hinaus zu aufwändig für die Praxis ist.

OERinfo: Danke für das Interview!

Creative Commons LizenzvertragDieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Gabi Fahrenkrog und Jöran Muuß-Merholz für OERinfo – Informationsstelle OER.

Ein Kommentar zu “„OER kann in der Nutzung kostenlos und in der Produktion bezahlt sein!“

  • Super!
    Eine starke Initiative, verändert die Kultur und die Praxis der Innovation und Transformation.
    Kompliment !

    Wilfried Schley

    Antworten

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