„Im Zweifel für den Zweifel …“

Ein Meinungsbeitrag von jOERan Muuß-Merholz

What?, Foto: Véronique Debord-Lazaro via Flickr , CC BY-SA 2.0.

Wie soll man damit umgehen, dass häufig bei einem Werk, das man gerne verwenden möchte, die Lizenz nicht oder nicht korrekt angegeben wurde? In einem Meinungsbeitrag stellt Jöran Muuß-Merholz unterschiedliche Möglichkeiten zur Diskussion, wie damit bei Zweifeln zu Rechtsfragen umgegangen werden kann.

Problem: Unklares Urheberrecht

Wenn ich mit freien Lizenzen arbeite, erlebe ich bisweilen die folgende Situation:
Ich finde ein Werk, z.B. ein Bild, das ich verwenden möchte. Ich bin ziemlich sicher, dass es urheberrechtlich okay ist, beispielsweise weil es mit einer freien Lizenz versehen ist oder weil es gar keinen urheberrechtlichen Schutz beanspruchen kann. Ich bin allerdings nur 95%ig sicher, beispielsweise weil der Fall urheberrechtlichen Interpretationsspielraum bietet oder weil ich zwar keinen korrekte Lizenzangabe beim Werk finde, aber ziemlich sicher bin, dass das nur ein Versehen ist.

Ein anderes Beispiel: Ich finde ein Bild, auf dem erkennbar Personen abgebildet sind. Ich bin zu 95% sicher, dass das kein Problem ist, weil die Personen als Beiwerk zu betrachten sind. Aber ich kann es nicht mit 100% Sicherheit sagen. Oder letztes Beispiel: Jemand schreibt einfach nur „CC BY“ unter sein Werk, ohne Lizenzversion und ohne Link. Damit ist die Lizenz eigentlich nicht gültig. Die Urheberin antwortet nicht auf meine Nachfragen. Ich bin zu 95% sicher, dass es im Sinne der Urheberin ist, wenn ich eine aktuelle Lizenzversion und den Link zur Lizenz in meiner Weiterverwendung ergänze. Aber ganz sicher kann ich nicht sein.

Wie umgehen mit zweifelhaften Rechtsfragen?

In der beschriebenen Situation habe ich drei Möglichkeiten:

A. Ich stecke (noch mehr) Aufwand in die Klärung.

B. Im Zweifelsfall verzichte ich wegen der Unklarheit auf das Werk.

C. Im Zweifelsfall nutze ich das Werk trotz Unklarheit.

Schauen wir uns die Alternativen genauer an:

  • Variante A kann zu einem guten Ende, also zu Klarheit führen. Sie kommt aber häufig früher oder später an Grenzen, an denen sich nur noch die Wahl zwischen B und C stellt.
  • Variante B bietet die größte Sicherheit – für mich selbst und für Dritte, die meine Arbeit nachnutzen wollen. Allerdings verzichte ich dann aus formalen Gründen auf Material, das ich inhaltlich für sinnvoll halten würde.
  • Variante C ist mit einer gewissen Unsicherheit verbunden – 1. für mich selbst und 2. für Dritte, die meine Arbeit nachnutzen wollen. Dafür gewinne ich an Inhalt.

Hintergrund: Das Risiko streut.

Wichtig ist dabei, dass ich nicht nur eine Entscheidung für mich selbst treffen muss. Denn ich gebe das Werk ja mit einem entsprechenden urheberrechtlichen Hinweis weiter, auf den Dritte sich dann wiederum verlassen müssen. Böse gesagt: Wenn ich hier nicht sauber arbeite, ziehe ich Dritte mit rein. Am Ende kann nicht nur ich eine Abmahnung bekommen, sondern möglicherweise auch Menschen, die sich auf meine Angaben verlassen und das Werk selbst andernorts nachgenutzt haben.

Das liegt daran, dass es im Urheber- bzw. Nutzungsrecht keinen gutgläubigen Erwerb gibt. Ein vereinfachtes und unjuristisch formuliertes Beispiel: Person Z verlässt sich auf eine Lizenz (ob freie Lizenz oder in anderen Formen) und übernimmt von Plattform X ein Bild von Urheber Y. Dieses Bild veröffentlicht Z jetzt in ihrem Blog, inklusiver Lizenzangabe. Danach stellt sich heraus, dass diese Lizenz nicht gültig ist (z.B. weil auf Plattform X ein Fehler passiert ist), und der Rechteinhaber Y lässt mir eine Abmahnung schicken. Dann kann Person Z sich nicht darauf berufen, dass sie das Bild mit entsprechender Lizenz bei X gefunden habe und der Fehler ja bei X lag. Ich hafte selbst für das, was ich veröffentliche, und kann mich im Zweifelsfall nicht darauf berufen, dass ich meinen Fehler von einem anderen Ort „kopiert“ habe.

Auf unseren Fall angewandt: Ich sollte mir also relativ sicher sein, wenn ich vor den Varianten B oder C oben stehe. Denn falls ich mich für Variante C entscheide, streue ich das damit verbundene Risiko auch weiter. Vor diesem Hintergrund entscheide ich mich in der Regel für Variante B.

In loser Folge erscheinen in der Reihe „jOERans Meinungsbeiträge“ Kommentare, die Diskussionen rund um OER anregen sollen. Wir freuen uns sehr, wenn Sie Ihre Einschätzungen, Erfahrungen und Fragen unten als Kommentar veröffentlichen. In dieser Reihe geht es – wie der Name schon sagt – nicht zwingend um eine Positionierung von OERinfo.
In loser Folge erscheinen in der Reihe „jOERans Meinungsbeiträge“ Kommentare, die Diskussionen rund um OER anregen sollen. Wir freuen uns sehr, wenn Sie Ihre Einschätzungen, Erfahrungen und Fragen unten als Kommentar veröffentlichen. In dieser Reihe geht es – wie der Name schon sagt – nicht zwingend um eine Positionierung von OERinfo.

Kompromisslösung: Die Erklärung des Zweifelsfalls.

Hier soll nun ein Kompromiss aus den Varianten B und C vorgestellt werden. Konkret: Ich nutze das zweifelbehaftete Material, aber ich mache die Unsicherheit nachvollziehbar. Ich schreibe also statt eines einfachen Lizenzhinweis: „Ich denke, dass das hier unter folgender Lizenz steht. Aber ich bin mir aus den folgenden Gründen nicht ganz sicher. Ihr solltet Euch selbst ein Bild machen, bevor Ihr Euch auf meine Lizenzangabe verlasst …“

Ich nenne dieses Vorgehen „Lizenzhinweis mit Zweifels (LiMitZ)“. Ich nutze also das Werk, kommuniziere aber gleichzeitig, dass es hier keine Klarheit über die Lizenz gibt. Für mich selbst reduziert das die Unsicherheit nur bedingt. Aber Dritte, die meine Arbeit weiternutzen wollen, kommen jetzt in den Genuss des inhaltlich sinnvollen Werks und können selbst entscheiden, ob sie bei einer Nachnutzung das Risiko eingehen wollen oder nicht.

Was denken Sie dazu?

Das Vorgehen ist zweifellos keine Lösung für Menschen, die sich nur oberflächlich mit freien Lizenzen beschäftigen wollen. Es ist eine nOERd-Frage und dem berühmten „ganz normalen User“ nicht zumutbar, das Ganze für seinen Alltag nachzuvollziehen. Allerdings gibt es diesen Fall meiner Erfahrung nach gar nicht so selten.
Wir freuen uns über Nachfragen, Ergänzungen, Zweifel, Wider- oder Zusprüche – bevorzugt unten als Kommentar!

Was denken Sie?

Soweit der Meinungsbeitrag von jOERan Muuß-Merholz. Die Kommentare sind offen. Haben Sie Fragen? Weitere Punkte für die Aufzählung? Oder Widerspruch? Wir freuen uns über jeden Beitrag, der der Meinungsbildung dient!

Creative Commons LizenzvertragDieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Jöran Muuß-Merholz für OERinfo – Informationsstelle OER.

2 Kommentare zu “„Im Zweifel für den Zweifel …“

  • Danke für das Anstoßen der Diskussion, enorm wichtige Frage! Insbesondere wenn OER wirklich in der Breite eingesetzt werden soll. Ich hatte in der Arbeit mit freien Lizenzen sehr oft die oben beschriebenen Probleme, teils habe ich die Autor:innen angeschrieben, sodass Sie den Lizenzhinweis klarer formulieren für Dritte.

    Mein größtes Problem war hierbei mit der Zeit ebenfalls, dass ich Dritte reinziehe (was Du ja mit „Böse gesagt: Wenn ich hier nicht sauber arbeite, ziehe ich Dritte mit rein. Am Ende kann nicht nur ich eine Abmahnung bekommen, sondern möglicherweise auch Menschen, die sich auf meine Angaben verlassen und das Werk selbst andernorts nachgenutzt haben.“ sehr treffend formulierst).

    Ansonsten habe ich informell mal von einer Hamburger Juristin auf einem Barcamp gehört, dass man die reine Angabe „CC BY“ schon so deuten kann, dass die aktuellste Version gemeint ist und das Richter:innen diese Annahme vermutlich auch verstehen/unterstützen würden. (Vorsicht: Hören-Sagen ;-))

    Davon abgesehen:

    „Lizenzhinweis mit Zweifels (LiMitZ)“ ist ein großartiges Schlagwort, aber fühlt sich gerade noch unbefriedigend an? Aber vielleicht muss man bei freien Lizenzen mit diesen 5% Rest-Unsicherheit einfach umgehen lernen und nicht auf 100% bestehen? (Weil diese 100% extrem schwer zu erreichen sind, wenn Ersteller:innen nur nebenbei auch ein paar OERs rausgeben? Aber ist dann nicht jedes Werk ein „Lizenzhinweis mit Zweifel“ eigentlich, wenn OER in der Breite ankommt?)

    Mir fällt hierzu inzwischen desöfteren der Versicherungsbetrug beim Autofahren als Analogie ein. Es gibt wenige Fälle, wo Personen mit Absicht Auffahrunfälle mit Anderen provozieren/verursachen, um Versicherungsgeld zu erhalten. Aber niemand denkt beim Abbiegen jedes Mal „Oh mein Gott, gleich will mir wieder jemand hinten reinkrachen mit Absicht“. Bei OER denken „wir“ (Glashaus ;-)) jedoch desöfteren, „Oh mein Gott, gleich will mich jemand abmahnen“, die unsichtbare Gefahr, die immer mitschwimmt und die halt eine Eigenschaft des Internets ist. Beim Auffahr-Unfall-Betrug muss derjenige uns ja physisch nah sein, bei Abmahnungen kann jemand halt in seinem Bett lümmeln und das Internet abgrasen, quasi 24/7.

    Um aus der ganzen Krux rauszukommen wäre vermutlich ein „Abmahnungs-Hilfsfond“/“OER-Versicherung für Bildungsakteure“ als primär symbolische Beruhigung für einzelne Lehrende/Lernende eine gute Lösung, sodass man auch mit gutem Gewissen „Lizenzhinweis mit Zweifel“ anwenden könnte? *schulterzuck*

    Antworten
  • Jörg Pareigis :

    Super post! Danke Jöran!
    Variante A muss aber nicht immer so kompliziert sein. Meistens hat man ja einen Link/e-mail zum Urheber und mit einer kurzen mail kommt man oft auch weit!
    Liebe Grüsse aus Schweden!
    /Jörg

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte beachten Sie auch unsere Datenschutzerklärung.