Ein Meinungsbeitrag von jOERan Muuß-Merholz
Freie Lizenzen sind das Skelett von OER. Wenige Menschen finden Lizenzfragen besonders sexy, aber sie bilden das essentielle Gerüst, an dem Open Educational Resources aufgehängt sind. Umso bedenklicher ist es, wenn selbst zentrale Akteure der Open-Szene eine der Grundideen von freien Lizenzen verkennen – so wie es kürzlich bei Wikimedia oder Pixabay zu beobachten war.
„Böse kommerzielle Nutzung“?
Im März gab YouTube bekannt, dass man Wikipedia-Inhalte neben YouTube-Videos zu Verschwörungstheorien einblenden werde. Katherine Maher, Chefin der Wikimedia Foundation, äußerte dazu auf Twitter ihren Unmut. Was von ihren Äußerungen in die Breite ging, zeigt die Berichterstattung zum Beispiel auf tagesschau.de. Es wird suggeriert, dass die kommerzielle Nutzung nicht regulär, sondern eben eine „Aus-nutzung“ sei.
Man kann Mahers Äußerung mit Verwunderung lesen. Wikipedia nutzt die Lizenz CC BY-SA, durch die die kommerzielle Nutzung explizit erlaubt ist. Und das ist gut so, denn viele sinnvolle und hilfreiche Weiterverwertungen von Wikipedia gäbe es sonst gar nicht. Es ist das Ziel von Wikipedia, Wissen so breit wie möglich zugänglich zu machen. Eigentlich könnte man YouTubes Vorgehen als riesigen Erfolg für Wikipedia werten, da das freie Wissen noch viel breiter zirkuliert. Und das Vorgehen ist von der Lizenz astrein abgedeckt. Maher suggeriert jetzt, dass es neben den formalen Lizenzen noch irgendeine Art von moralischer Meta-Lizenz gäbe, nach der böse Kapitalisten wie YouTube von der Nachnutzung ausgenommen wäre – oder zumindest hätte YouTube vorher fragen können! Weitere Äußerungen von Maher deuten an, dass YouTube sich dann doch bitte in Form von Spenden an die Wikimedia Foundation erkenntlich zeigen sollte – das wäre dann quasi ein moderner Ablasshandel für die Nachnutzung von Wikipedia.
Nun kann man darüber streiten, ob YouTubes Plan sinnvoll oder verantwortungslos ist. Aber die Lizenzfrage hat in dieser Diskussion nichts verloren.
„Es ist mir egal, aber so will ich’s doch nicht haben“
Mahers Äußerungen decken ein massives Missverständnis zu freien Lizenzen auf. Ein ähnliches Phänomen war in der deutschsprachigen Pixabay-Community vor einiger Zeit zu beobachten. (Die entsprechende Forumsdiskussion unter diesem Link wurde offenbar inzwischen gelöscht.) Dutzende von Pixabay-Usern schimpften auf die „Copy Cats“, die gleich das komplette Pixabay-Angebot kopierten und andernorts anboten. Dabei hatten diese User selber mit einer Freigabe unter CC0 diese Möglichkeit eingeräumt.
Das Verhalten von Maher und diesen Pixabay-Usern erinnert an eine Position, die Tocotronic 1997 pointiert beschrieben hatte: „Es ist egal, aber so will ich es doch nicht haben.“ Wer sich für eine Freigabe unter freier Lizenz oder gar CC 0 entscheidet, der darf sich anschließend nicht über eine Nachnutzung beschweren, die einem nicht passt.
Der Kontrollverlust ist Teil von OER
Vordenker freier Lizenzen wie Paul Klimpel und Till Kreutzer (hier schon 2013, S. 39) betonen, dass der Kontrollverlust bei freien Lizenzen nicht eine unerwünschte Nebenwirkung ist, die man irgendwie eindämmen oder minimieren müsste. Es ist gerade Sinn und Zweck der freien Lizenzen, dass Menschen mit den Inhalten Dinge anstellen werden, die die Urheber*innen sich so nicht gedacht hatten und auch nicht denken konnten. Der Kontrollverlust ist bei OER keine Nebenwirkung, sondern Sinn der Sache. It’s not a bug, it’s a feature!
Es mag schwierig sein, den Kontrollverlust als Grundeigenschaft von OER anzuerkennen. Wahrscheinlich lernen wir diese Eigenschaft nur über eigene Erfahrungen wirklich gut kennen. Das mag anstrengend sein. Aber es hilft, diese Grundeigenschaft zu akzeptieren und die Energie anstatt auf den (vergeblichen) Kampf um Eindämmung auf das Verstehen des Phänomens zu richten.
In diesem Sinne: Wir suchen Beispiele – negativ wie positiv – für den Kontrollverlust durch freie Lizenzierung! Am liebsten offen in den Kommentaren unten, aber gerne auch im vertraulichen Gespräch (Kontakt).
4 Kommentare zu “Kontrollverlust ist bei OER keine Nebenwirkung, sondern Sinn der Sache. Oder: „Es ist mir egal, aber“”
Danke für den Beitrag. Ich stimme Dir zu und sehe hier durchaus eine Aufgabe, die sich für die Medienpädagogik abzeichnet: die Förderung von Kontrollverlustkompetenz. Das ist zwar nicht wirklich etwas Neues bei der Frage zum Lernen in einer digitalisierten Welt, aber durch dieses Beispiel wird es plastischer, was Kontrollverlust bedeutet.
Ich würde Kontrollverlust nicht unbedingt als „Sinn der Sache“ bezeichnen – für mich gehört Kontrollverlust zu OER einfach unabdingbar dazu. Der Sinn von OER besteht für mich eher in einer Änderung des eigenen Mindsets, also meiner Haltung und Einstellung zum Leben und des miteinander Umgehens. Wenn mein Mindset OER-entsprechend ist (teilen, wertschätzen, Augenhöhe…), entfällt automatisch auch die Entrüstung („moralische Meta-Lizenz“ finde ich übrigens super!) über die weitere Nutzung meines OERs. Wenn ich keine kommerzielle Nutzung will, muss ich die NC-Lizenz wählen, aber entspricht das dann noch dem OER-Gedanken? Es würde nämlich heißen, dass nicht nur „böse Kapitalisten“, so man Youtube denn so bezeichnen will, mein OER nicht nutzen können, sondern beispielweise auch freie Trainer mein OER nicht verwenden können, die oftmals die Bildung im Zeitalter der Digitalsierung positiv voranbringen, weil sie ja damit Geld verdienen. Und das ist für mich nicht „im Sinne des Erfinders“.
Wenn ich OER anbiete, ist es natürlich toll, wenn das beispielsweise über Spenden gewürdigt wird, was am ehesten passiert, wenn Menschen mein OER und den damit verbundenen Aufwand persönlich für wertvoll halten. Es gibt aber m. E. weder einen Anspruch auf „Vergütung“ irgendeiner Art, noch das Recht auf moralische Entrüstung. Da finde ich deinen Vergleich „moderner Ablasshandel für die Nachnutzung…“ richtig gewählt.
Wir sollten lernen, vor Kontrollverlust keine Angst zu haben, sondern ihn als Chance für Weiterentwicklung zu betrachten.
Ich habe bei diesem Beitrag immer genickt, überlege aber, ob es nicht einen positiver besetzten Begriff für Kontrollverlust gibt. Wie Du schreibst, ist es ein Feature, denn neben dem Fall, dass ich damit keine Kontrolle darüber habe, wo die Contents eingesetzt werden, MUSS ich das aber auch eben nicht mehr tun. Ich bekomme keine wöchentlichen Mails mit Anfragen zu meinen Werken, ich muss nicht alle Nase lang Nutzungsverträge mit Interessierten abschließen… Kontrollverzicht?
„Wir suchen Beispiele – negativ wie positiv – für den Kontrollverlust durch freie Lizenzierung!“
Vielleicht passt hier unser „Remix mit der Kettensäge“ der OER-Fachexperten: http://secret-cow-level.de/wordpress/2017/09/besser-gut-geremixed-als-just-another-oer-mooc-der-oer-fachexperten-mooc-oerexp/ Kurz: Wir haben die tollen Videos vom COER17 „einfach umgelabelt“, weil es ging 🙂
VG Anja
Thanks for the informative article. Unogeeks is the top Oracle Fusion Technical Training Institute, which provides the best Oracle Fusion Technical Training