Im Interview mit dem Gewinner des Landeslehrpreises Brandenburg

Am 29.11. 2023 erhielt der Zertifikatskurs „Forschungsdatenmanagement für Studierende“ den Landeslehrpreis Brandenburg für exzellente Hochschullehre. Der Kurs ist ein Gemeinschaftsprojekt der Fachhochschule Potsdam, der Universität Potsdam und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. OERinfo hat mit den Hauptveranstwortlichen des Projekts Dr. rer. nat. Heike Neuroth, Fachhochschule Potsdam, Dr. Daniela Mertzen, Universität Potsdam, und Dr. Jens Mittelbach, Brandenburgische Technische Universität Cottbus, gesprochen.

Dr. Mittelbach, Prof. Dr. Neuroth, Dr. Mertzen am 29. November 2023, Foto: Dr. Peter Kostädt, CC BY 4.0

Ein Interview mit Dr. rer. nat. Heike Neuroth, Dr. Daniela Mertzen und Dr. Jens Mittelbach
 

Wie entstand die Idee zu dem Kurs und das Vorhaben, diesen als Gemeinschaftsprojekt zu erstellen?

Es gibt in Brandenburg eine sehr schöne Kooperationskultur zwischen den acht forschenden Hochschulen, die auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit einbezieht. Und diese Kooperationskultur hat noch einmal einen großen Schub erfahren durch die parallele Förderung für den institutionellen Aufbau von Forschungsdatenmanagement (FDM) in Brandenburg vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und parallel dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) des Landes Brandenburg , quasi eine Bund-/Landförderung. Derart beflügelt gelang es dann auch, einen für Deutschland bisher einmaligen Zertifikatskurs nur für Studierende zu konzipieren und durchzuführen, der sich an alle Studierende der acht brandenburgischen Hochschulen richtet und von insgesamt 11 Dozierenden aus drei Hochschulen inhaltlich verantwortet wird. Unsere Idee war es, frühzeitig in der akademischen Karriere FDM als integralen Teil der guten wissenschaftlichen Praxis zu verankern. [HN]
 

Welche Inhalte werden thematisiert?

In dem einwöchigen und ganztägigen Zertifikatskurs geben wir eine Einführung in das Forschungsdatenmanagement. Wir behandeln die Grundlagen für Datenmanagementpläne sowie die technische Forschungsdateninfrastruktur und Tools, geben Einblicke in Forschungsdatenpublikationen und thematisieren auch rechtliche bzw. ethische Aspekte. Zuletzt führen wir auch in die gute wissenschaftliche Praxis ein und fokussieren uns auf wichtige Aspekte des Projektmanagements im Bereich Forschungsdaten. Einen Überblick über diese Spring School vermittelt die folgende Abbildung.

Timetable Spring School, Grafik: Dr. Daniela Mertzen, CC BY 4.0

Wichtig war uns dabei, ein abwechslungsreiches und interaktives didaktisches Konzept anzuwenden, z.B.

  • theoretische Einführungen wurden durch verschiedene Formate und Tools unterstützt (z. B. Video, Aufgaben in Breakout-Rooms mit (Miro)boards)
  • Gamification-Ansätze: spielerisches Festigen der gelernten Terminologie
  • Diskussionsrunden z.B. zu forschungsethischen Fragestellungen und Praxisbeispiele der Studierenden

Auch die unterschiedlichen Expertisen und Blickwinkel der insgesamt elf Dozierenden haben unsere Diskussionen zusätzlich spannend gemacht. Das überaus positive Feedback der Studierenden motiviert uns, diesen Zertifikatskurs auch wieder 2024 und 2025 anzubieten. [DM]
 

Was und wen möchten Sie mit dem Kurs erreichen?

Wir haben den Zertifikatskurs an allen acht brandenburgischen Hochschulen beworben und dabei sowohl Bachelor- als auch Masterstudierende und Promovierende angesprochen. Uns war es wichtig, FDM als integralen Bestandteil frühzeitig im akademischen Alltag zu integrieren und das Bewusstsein hierfür zu schärfen. Der Prozess zur Umsetzung des Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an den Hochschulen Brandenburgs dokumentiert, dass sowohl Forschende, aber auch Studierende Unterstützung beim wichtigen Thema FDM benötigen. Wir müssen ganz allgemeine FDM-Kenntnisse vermitteln, aber auch Techniken des Umgangs mit Daten und Werkzeuge für die Workflows im Forschungsprozess aufzeigen sowie die adäquate Nutzung technischer Infrastrukturen und wissenschaftlicher FDM-Dienste im akademischen Umfeld fördern. In unserem brandenburgweiten Projekt “Institutionalisiertes und nachhaltiges Forschungsdatenmanagement in Brandenburg” (IN-FDM-BB) werden übrigens solche Infrastrukturen aufgebaut, im Zertifikatskurs wird der Umgang damit geschult. [JM]
 

Bei dem Thema „Forschungsdatenmanagement“ denkt man im ersten Moment vielleicht nicht an Studierende, sondern an z. B. Doktorand*innen? Welche Bedeutung hat das Thema für Studierende?

In der Lehre, sowohl auf Bachelor- als auch Masterniveau versuchen wir mehr und mehr, den Umgang mit digitalen Daten zu lehren. Es entstehen konkrete datenbasierte Projektvorhaben, öfter auch mit Anwendungspartnern aus der Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung etc., in denen wir zum Beispiel den nachvollziehbaren und transparenten Umgang mit Daten, von der Datenentstehung bzw. -generierung, -bereinigung, -anreicherung, -prozessierung bis hin zu Datenanalyse und -visualisierung und letztendlich Datenpublikation schulen. Dies alles strukturiert und standardisiert in Form von Datenmanagementplänen zu dokumentieren, ist ein wichtiger Schritt, um frühzeitig den DFG-Kodex und deren Leitlinien praktisch umzusetzen. Auch bei Abschlussarbeiten setzen wir vermehrt auf Datenmanagementpläne als festen Bestandteil der Arbeit. Dabei orientieren wir uns auch an der Humboldt-Universität zu Berlin, die bereits seit geraumer Zeit als erste Hochschule in Deutschland konkrete Handreichungen, Leitlinien und best practice für ihre Studierenden zur Verfügung stellt (vgl. https://www.ibi.hu-berlin.de/de/studium/rundumdasstudium/fdm-fuer-studierende). [HN]
 

Warum bieten Sie Ihren Kurs sowohl als OER als auch als Online-Spring School an?

Nun, wir können ja nicht Wasser predigen und selber dann Wein trinken 🙂 Nein, im Ernst: Wir arbeiten bereits sehr lange in Brandenburg eng zusammen und unsere Hochschulen engagieren sich seit Jahren im Open Science Bereich, zum Teil mit eigenen Open Science Leitlinien. Uns ist es wichtig, mit gutem Beispiel voranzugehen. Daher haben wir alle Materialien auch bewusst für die Nachnutzung in anderen Bundesländern bzw. Hochschulen veröffentlicht, dies beinhaltet das Modulhandbuch inklusive der Qualifikationsziele pro Modulkurs, die gesamten Lehrskripte auch als open document format im Umfang von ca. 470 Folien, die gesammelten Literaturempfehlungen zu jeder Lehreinheit inklusive weiterführenden und optionalen Quellenangaben und unsere 50 Quizfragen, jeweils auch den einzelnen Lehreinheiten zugeordnet (vgl. https://doi.org/10.5281/zenodo.8297723). [DM]
 

Wie kam es dazu, dass Sie sich für Landeslehrpreis für exzellente Hochschullehre in Brandenburg beworben haben?

Für eine Hochschulprofessorin, der Forschung und Lehre gleichermaßen am Herzen liegt, stellt diese Auszeichnung eine Krönung dar. Es passte einfach alles: Der diesjährige thematische Schwerpunkt auf digitale, offene, freie Bildungsmaterialien (OER), unsere brandenburgweite Kooperation nun auch in der Lehre und dies mit dem Themenschwerpunkt Forschungsdatenmanagement. Viele Herausforderungen lassen sich heutzutage nur kooperativ lösen, so auch ein einwöchiger Zertifikatskurs, bei dem es uns allen wichtig war, nicht die Studierenden frontal “vollzutexten”, sondern abwechslungsreich und spannend in das wichtige Thema FDM einzuführen. Dazu haben mehr als zehn Dozierende freiwillig über Monate zusammengesessen und über Konzept, Umsetzung und Praktikabilität gegrübelt. Wir sind eher zufällig über die Ausschreibung zum Landeslehrpreis gestolpert, pro Hochschule war auch nur eine Bewerbung erlaubt. Da sich in diesem Fall drei Hochschulen gemeinsam beworben haben, war dies schon ein logistischer Akt, die Bewerbungsunterlagen rechtzeitig einzureichen. Umso schöner ist es natürlich, dass wir erfolgreich waren. Zugleich konnten wir das Thema Forschungsdatenmanagement brandenburgweit sichtbar machen, wir wurden bereits von den anderen Hochschulen angesprochen mit einem gemurmelten Hinweis  „ja, ja, das Thema FDM wird immer wichtiger und wir müssen hier noch aktiver werden“. [HN]
 

Wie ist die bisherige Resonanz, sowohl zu den OER als auch zur Online-Spring School (Stichwort Anmeldungen)?

Die Resonanz war gewaltig. Wir hatten fast 100 Bewerbungen bei nur 30 Plätzen. Da wir den Zertifikatskurs komplett online durchgeführt haben und keine Kosten für die Studierenden entstanden sind, wurden wir buchstäblich überrannt. Es war gar nicht so einfach, hier eine transparente und nachvollziehbare Auswahl zu treffen und die Wartelisten konsequent abzuarbeiten. Sicherlich ist das große Interesse auch dem Umstand geschuldet, dass wir bei extra Prüfungsleistungen nicht nur 2 ECTS-Punkte, sondern je nach studentischen Anforderungen bis zu 4 ECTS-Punkten anbieten konnten. Natürlich musste dafür eine extra Arbeit eingereicht und bewertet werden, davon haben immerhin ca. 20% der Studierenden Gebrauch gemacht. Aber so konnten wir die interessierten Studierenden exakt bei ihrem aktuellen Bedarf abholen und einige haben dies genutzt, um zum Beispiel ihre Masterarbeit konzeptionell mit Bezug zu ihren Forschungsdaten neu anzugehen und systematisch die Prozesse und Daten zu dokumentieren. [DM]
 

Haben Sie bereits weitere Projekte in diese Richtung geplant?

Tatsächlich konzipieren wir gerade auch Zertifikatskurse für Forschende und Forschungsunterstützende, die wir ab nächstem Jahr anbieten werden. Dabei können wir dann von den bisherigen Erfahrungen im Rahmen des studentischen Zertifikatskurses profitieren, wenngleich natürlich die Zielgruppen andere sind. Aber ähnlich wie bei den Studierenden, kommen die Forschenden ja auch aus ganz verschiedenen Fachdisziplinen. Wir werden also auch hier wieder mit Herausforderungen wie fachlicher Heterogenität, unterschiedlichen Wissensständen und Anforderungen zu tun haben. Und ob diesmal ein Quiz zur Auflockerung und niedrigschwelligen Einführung in das Thema hilft, müssen wir noch überlegen. Wir freuen uns sehr, dass wir im FDM-Netzwerk in Brandenburg auf zahlreiche Expertise und eine ausgezeichnete Kooperationskultur zurückgreifen können und sind gespannt, wo wir Ende 2025 mit dem Auslaufen der Projektförderung stehen werden. [JM]


Interviewte:

  • Dr. rer. nat. Heike Neuroth: Prof. Neuroth ist Forschungsprofessorin für Bibliothekswissenschaft am Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam. Sie ist Projektleiterin verschiedener Forschungs- und Infrastrukturprojekte u.a. im Bereich des (Forschungs-)Datenmanagements. Hier ist sie nicht nur in nationalen und internationalen Gremien engagiert, sondern auch innerhalb der eigenen Hochschule praktisch tätig
  • Daniela Mertzen: Dr. Mertzen ist als promovierte Psycholinguistin Teil des Forschungsdatenmanagement (FDM)-Teams an der Universität Potsdam und des brandenburgweiten FDM-Projekts „Institutionelles und nachhaltiges Forschungsdatenmanagement in Brandenburg“. Sie unterstützt Forschende, die ihre Forschungsdaten systematisch verwalten und so ihre Arbeit transparenter, reproduzierbarer und nachnutzbarer machen wollen
  • Jens Mittelbach: Dr. Mittelbach ist Leiter der Universitätsbibliothek der Branden­burgische Tech­nische Uni­versität Cott­bus – Senften­berg (BTU) und ist verantwortlicher Herausgeber von der Fachzeitschrift “Bibliothek – Forschung und Praxis”. Er engagiert sich seit Jahren in den Forschungsfeldern (Daten)Infrastrukturen, wissenschaftliche Dienste und Tools

 

Creative Commons LizenzvertragDieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name der Urheberin soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Dr. rer. nat. Heike Neuroth, Fachhochschule Potsdam, Dr. Daniela Mertzen, Universität Potsdam, und Dr. Jens Mittelbach, Brandenburgische Technische Universität Cottbus für OERinfo – Informationsstelle OER.

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