Die Diskussion, wie gewährleistet werden kann, dass Freie Bildungsmaterialien (OER) qualitativ hochstehend sind, ist sinnvoll. Es gilt aber zu verhindern, dass im Zuge dieser Diskussion Hürden entstehen, die der Produktion von OER entgegenstehen. Diejenigen, die sich der Mühe unterziehen, ihre Unterrichtsideen, Materialien und Programme soweit digital aufzubereiten, dass sie von anderen kostenlos und nutzbringend im Unterrichtsprozess eingesetzt werden können, sollen dafür weder rechtlichen Risiken ausgesetzt noch als qualitativ fragwürdig denunziert werden.
Es muss auch das Missverständnis vermieden werden, dass OER nur kostenlose Download-Angebote seien. Der massenhafte Download von Arbeitsblättern ist schon lange der Normalzustand, die Quellen- und Rechtslage ist für den Nutzer dabei meistens nebelig oder nebensächlich. Da ist es zwar ein heeres Ziel, durch CC-Lizenzen den Kolleginnen und Kollegen aus der urheberrechtlichen Grauzone herauszuhelfen. Aber der Unterricht wird sich dadurch kaum oder gar nicht verändern.
Dieser Text ist eine Übernahme von zum.de. Er wurde von Klaus Dautel verfasst und steht unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA DE 3.0 .
Darum einige Gedanken zum Thema Qualität in OER:
1. Außer Diskussion stehen sollten m.E. digitalisierte Schulbücher, sofern sie in Umfang, Inhalt und Vorgehensweise den traditionellen, von entsprechenden Verlagen herausgegebenen Lehrwerken entsprechen; denn
- es ist abzusehen, dass sie sich wie traditionelle Schulbücher einem Genehmigungsverfahren durch die föderalen Kultusbehörden unterziehen werden müssen,
- im Übrigen erscheint mir auch nicht so richtig einleuchtend, warum digitale Unterrichtsmaterialien die Form von Schulbüchern haben müssen. Für den flexiblen Unterricht der Zukunft ist es allemal sinnvoller, in Modulen, Info- und Arbeitsblättern oder Unterrichtseinheiten zu denken, die den Fortgang des Lernprozesses weniger vorschreiben.
- Und schließlich: Ein ganzes Schulbuch zu erstellen, ist sehr aufwändig und wird immer in Konkurrenz zu Verlagsprodukten stehen, die über ganz andere Ressourcen verfügen.
2. Zur Debatte stehen vielmehr Materialien, Programme und Prozesse: d.h. Arbeitsblätter, Programm-Scripte und Apps; bei Prozessen denke ich an kollaborativ und/oder kooperativ organisierte Unterrichtsverläufe auf der Basis von z.B. Wikis, Etherpads oder Online-Office-Plattformen (Google etc). Dabei gehe ich davon aus, dass auch eine Unterrichtsidee oder ein Entwurf als Ressource zu betrachten ist (vgl. meinen Blog-Eintrag vom 24.3.2015).
3. In allen Fällen sollte gelten, dass man sich nicht auf den Aspekt der inhaltlichen Korrektheit fixiert, sondern dass sowohl die Entstehungsbedingungen als auch die Verwendungsmöglichkeiten mitbedacht werden. Solche Bewertungsaspekte könnten sein:
- Ist die Ressource veränderbar? Kann/darf sie angepasst werden? Dies dürfte wohl am ehesten auf heruntergeladene Arbeitsblätter zutreffen. Die Lehrkraft kürzt, ergänzt, korrigiert die heruntergeladene Ressource nach den Erfordernissen ihres Unterrichts. Dies wirft auch die Frage auf: Welches Dokumenten-Format ist am ehesten geeignet: PDF, Doc, Odt …?
- Besteht die Möglichkeit, bereits am Entstehungsprozess – notfalls korrigierend – teilzuhaben? Dies könnte z.B. Wiki-Artikel betreffen. Eine Schülergruppe gibt ihr Arbeitsergebnis zur kritischen Begutachtung frei und erstellt dadurch selbst freies Bildungsmaterial.
- Welche Lernprozesse initiiert die Ressource? Soll das Arbeitsblatt online gelesen oder ausgefüllt werden, z.B. als Lückentext oder Quiz? Soll es ausgedruckt und gemeinsam bearbeitet werden? Enthält es Hinweise zu weiteren Arbeitsschritten?
- Bietet die Ressource eine aufeinander abgestimmte Abfolge von Lernprozessen an, mit Rückkoppelungs- und Selbstüberprüfungsmöglichkeiten? Wie z.B. so genannte „Lernpfade“ oder Webquests.
- Handelt es sich – um die Dimensionen noch etwas auszudehnen – um einen Projektplan, der Zielvorgaben, Materialien und Arbeitshinweise vorschlägt, die auf einen größeren Zeitraum angelegt sind: Planspiele, Blended Learning …
4. Es ist ersichtlich, dass die Qualität hier in einem umfänglicheren Sinne betrachtet werden muss: Nicht die inhaltliche Richtigkeit eines Endproduktes steht zur Debatte, sondern die Effizienz der stattfindenden oder ausgelösten Lernprozesse. Es kommt also darauf an, was die Lehrkraft daraus macht bzw. machen kann.
5. Anstatt folglich eine oder mehrere Qualitätsbehörden unter Leitung der üblichen Verdächtigen (Landesinstitute, Schulämter, Ministerien) anzustreben, sollte die Kampagne sich an die Lehrkräfte wenden und eine Art Leitfaden mit Hinweisen auf die Auswahl (wo finde ich was?), die Erstellung (wie gehe ich mit dem Material um?) und den Umgang (was sind produktive Lernprozesse?) anbieten.
6. Und weil es um eine didaktische und methodische Sichtweise auf die Qualitätsfrage geht, sind die Lehrer-Ausbildungs-Institutionen gefordert: Dort wird schon viel über offenen bzw. geöffneten Unterricht nachgedacht, darüber, wie die Impulse, die Abläufe und die Ergebnisse zu bewerten sind. Das ist gut so. Es muss jetzt aber auch über ‚freie Bildungsmaterialien‘ (im Sinne von OER) nachgedacht werden: Wo wir sie finden, wie wir sie auswählen, wie wir sie einsetzen, wie wir sie erstellen?
7. Hilfreich ist letztendlich der Best-Practice-Ansatz: Nicht nur Überlegungen zu dem, was man alles machen könnte, sondern Berichte und Reflexionen zu dem, was tatsächlich gemacht wurde. Zusammenstellungen von Unterrichtsbeispielen und Erfahrungsberichten wären angebracht, und das geht nur unter breiter Beteiligung von Lehrerinnen und Lehren. Die Graswurzelperspektive ist wichtiger als die Suche nach zentralen Sammelstellen („Repositorien“) und behördliche Unterstützung. Die von Lehrerinnen und Lehrern seit Jahren betriebenen Initiativen müssen sich miteinander vernetzen, um ihre Erfahrungen auszutauschen und ihre Kräfte zu bündeln.