Wie lassen sich vorhandene und entstehende Bildungsmaterialien auf ihre OER-Tauglichkeit prüfen? Mit dieser Ausgangsfrage stellte sich ein Projektteam im Think Tank iRights.Lab der Aufgabe, ein geeignetes OER-Prüfinstrument für die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) zu entwickeln und einzusetzen. Mit ihm können Lehr- und Lernmaterialien systematisch begutachtet werden, um sie entweder als OER-tauglich zu kennzeichnen oder zu protokollieren, was ihnen dazu (noch) fehlt.
Ein Beitrag von Henry Steinhau
Repositorien sind geordnete und fachlich kuratierte Sammlungen von Lehr- und Lernmaterialien, die von Universitäten, Schulbehörden oder Bildungsministerien der Länder betrieben und verwaltet werden. Sie gibt es sowohl für bestimmte Lehrveranstaltungen oder einzelne Fachbereiche, als auch übergreifend für mehrere Bildungsbereiche. Repositorien sind in der Regel sowohl für Lehrkräfte und Autor*innen als auch für Lernende konzipiert. Sie alle können dort gebrauchsfertige Bildungsmaterialien finden, laden und nutzen.
Verwendung, Bearbeitung (remix) oder Veröffentlichung geschützter Werke und Inhalte Dritter
Doch wofür genau dürfen die Materialien aus den Repositorien genutzt und an wen weitergegeben werden? Bei geschützten Inhalten sind sowohl urheberrechtliche Vorschriften zu beachten, als auch verwandte und weitere Schutzrechte, wie Leistungsschutz- und Markenrechte, sowie gegebenenfalls auch Persönlichkeitsrechte, wie beispielsweise das Recht am eigenen Bild.
Diese Vorschriften und Erlaubnisse zu durchschauen ist nicht immer ganz einfach. Daher gibt es offene Bildungsressourcen (OER). Sie sind mit pauschalen Erlaubnissen der Rechteinhaber*innen veröffentlicht und können vielfach nachgenutzt und breit geteilt werden.
Der offene OER-Ansatz findet seit Jahren zunehmend Zuspruch in allen Bildungssektoren und zahlreichen Wissenschafts- und Bildungsinstitutionen. Die Bildungsorganisation der Vereinten Nationen, die UNESCO, legte 2015 Handlungsempfehlungen für den Einsatz von OER vor. Auch die Bundesregierung hat das Potential von OER erkannt und zuletzt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine OER-Strategie veröffentlicht, mithilfe derer die Verbreitung von OER zukünftig gefördert wird.
Wie viele OER befinden sich schon jetzt in den Repositorien?
Anders gefragt: Wie viele der dort vorhandenen Materialien sind auch rechtlich gesehen OER-tauglich? Was bräuchten sie, um es zu werden? Und wie ließe sich dies herausfinden?
Diese Überlegungen waren die Ausgangspunkte eines Projekts mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie des Landes Berlin (SenBJF). In der von ihr mit betriebenen umfangreichen Sammlung an Bildungs-, Lehr- und Lernmaterialien (Bildungsserver Berlin-Brandenburg) sollen, so ihr Ziel, möglichst viele in das im Aufbau befindliche OER-Repositorium überführt werden – nach entsprechender intensiver Prüfung hinsichtlich der relevanten OER-Kriterien. Des weiteren will die SenBJF im Zuge dieses Vorhabens die Standardisierung von OER-Materialien in formaler und rechtlicher Hinsicht vorantreiben. Nur bei gleichen Standards sind der Austausch und die Nutzung eines gemeinsamen Basisbestandes bundesweit – und darüber hinaus – möglich.
Die Erarbeitung dieser Kriterien und die Entwicklung eines Prüfinstrumentariums, um ein geeignetes Verfahren zur Prüfung von Materialien zu implementieren, ist Teil einer Beauftragung, die aktuell in Form eines Rahmenvertrags vom Think Tank iRights.Lab umgesetzt wird.
Die Entwicklung eines OER-Prüfinstruments
Während des OERcamps im Oktober 2022 in Hamburg stellten wir von iRights.Lab in einer Session das Konzept und die damals noch als Prototyp vorliegende Version des Prüfinstruments vor.
Nach mehreren Entwicklungsphasen und zahlreichen Testläufen nutzten die Projektbeteiligten die erste Version des Prüfinstrumentariums in den vergangenen Monaten, um damit eine große Anzahl an Prüfungen von für das SenBJF erstellten Bildungsmaterialien durchzuführen. Aus diesen praktischen Erfahrungen heraus stellen sie in einer Zwischenbilanz fest, dass sich das Prüfinstrument als gut handhabbar bewährt hat. Zugleich brachte diese Erprobungsphase den Beteiligten von der Berliner Senatsverwaltung und vom iRights.Lab wertvolle Erkenntnisse zum Prozedere und der Effizienz eines solchen Vorgehens. Etwa, dass es sich als vorteilhaft erweist, ein solches Prüfinstrumentarium gemeinsam zu nutzen.
Beim Prüfinstrument handelt es sich um eine fünf DIN A4-Seiten umfassende Handlungsanweisung und Checkliste mit Protokollfeldern. Mit ihr können die prüfenden Personen das betreffende Material Schritt für Schritt begutachten und nach OER-relevanten Kriterien bewerten. Die einzelnen, durchnummerierten Prüfschritte sind als Fragen formuliert und werden im Dokument jeweils kurz erklärt. Zusätzlich erläutern prägnante Erklärtexte den urheberrechtlichen Hintergrund der jeweiligen Prüffrage. Zu jedem Abschnitt befinden sich Checkboxen zum Ankreuzen der jeweiligen Antwort beziehungsweise des „Prüfbefunds“. Außerdem ist Platz für etwaige Notizen. Näheres zu den einzelnen Prüfschritten weiter unten.
Für alle offen
Das vorliegende Prüfinstrument zielt explizit darauf ab, vorhandene und entstehende Bildungsmaterialien auf ihre OER-Tauglichkeit hin zu untersuchen, um sie daraufhin für die Nutzung in OER-Repositorien zu empfehlen – oder mit Hinweisen zur Nachbesserung an die Autor*innen zurückzugeben. Diese Tauglichkeit macht sich im Kern an Lizenzhinweisen fest und daran, ob die OER-konformen Lizenzen genutzt wurden (CC BY, CC BY-SA, CC0) – oder eben nicht.
Da es auf vielfache (massenhafte) Prüfungen ausgelegt ist und die Prüfzeit pro Material so gering wie möglich sein soll, begutachtet es ausschließlich, was an den vorhandenen Materialien an nutzungsrechtlichen Informationen zu finden ist. Das Tool ist weder dafür gedacht noch dazu geeignet, daraus rechtssichere Gutachten abzuleiten – diese sind Jurist*innen vorbehalten, weil sie genaue fachliche Prüfungen vornehmen und sich daraus u. a. Haftungsfragen ergeben können.
Auch die fachliche Richtigkeit und didaktische Qualitäten bleiben in diesem OER-Prüfprozess außen vor. Diese gehören zu den Voraussetzungen, dass die Materialien überhaupt durch die Berliner Senatsverwaltung veröffentlicht werden – sie werden an anderer Stelle, etwa durch zuständige Fachaufsichten geprüft. Zudem müssen alle assoziierten Autor*innen versichern, dass sie mit Zitaten sowie etwaigem Fremdmaterial gemäß der rechtlichen Vorgaben vorgegangen sind und diese hinreichend kennzeichneten. Dies geschieht in Berlin durch schriftliche Vereinbarungen mit den Autor*innen.
Ziel der Entwicklung war zudem, dass sich das Instrument mit OER-Basiswissen nutzen lässt, ohne tiefere juristische Kenntnisse mitbringen oder aufwändiges Einarbeiten ins Urheberrecht absolvieren zu müssen. Das Instrument ist mit seinem fokussierten Blick und den darauf aufgesetzten Workflow – Handlungsanleitung inklusive Protokollierung – ein praxisorientierter Ansatz.
Das OER-Prüfinstrument wird unter einer offenen, OER-konformen Lizenz veröffentlicht. Es steht somit allen Interessierten offen, es für eigene OER-Tauglichkeits-Prüfungen einzusetzen beziehungsweise es – bei Bedarf – auch zu modulieren. Das Projektteam vom iRights.Lab und die am Prüfinstrument Mitarbeitenden in der SenBJF sind gespannt und freuen sich über entsprechende Rückmeldungen, Kommentare und Anregungen – oder neue Versionen.