„In Sachen OER schaut die Welt nun auf Deutschland“ – Dominic Orr im Interview

Dominic Orr bei seiner Keynote anlässlich des Startworkshops von OERinfo in Frankfurt/main. Foto unter CC BY 4.0 von Christine Schumann, DIPF
Dominic Orr bei seiner Keynote anlässlich des Startworkshops von OERinfo in Frankfurt/main. Foto unter CC BY 4.0 von Christine Schumann, DIPF

Die Keynote beim Auftakttreffen der Projektpartner der Informationsstelle OER beim DIPF in Frankfurt/Main hielt Dominic Orr zum Thema „Bildungspotenziale von OER (Arbeitstitel) = eine Herausforderung für Sie“. Am Rande sprach OERinfo mit Dominic Orr über OER als Mittel zum Zweck, über die Notwendigkeit der Vernetzung der der Akteure untereinander und darüber, wie OER Mainstream werden kann.

 

OERinfo: Sie sind offensichtlich sehr erfreut über diese Förderlinie und den Projektstart.

Dr. Dominic Orr ist Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) und Berater für OER bei der OECD und arbeitet in UNESCO-Arbeitsgruppe OER-Monitoring. Beim Startworkshop der Informationsstelle OER beim DIPF in Frankfurt/Main, 12./13.12.2016 hielt Dominic Orr die Keynote „Bildungspotenziale von OER (Arbeitstitel) = eine Herausforderung für Sie“.

Dominic Orr: Ja, ich kann wirklich sagen, dass ich glücklich bin, dass es diese Förderlinie zu OER nun in Deutschland gibt. Im Januar 2014 hatten wir ein Policy-Seminar zur Förderung von OER, bei dem auch Frau Hausdorf [Ministerialrätin Digitale Bildung beim BMBF] dabei war. Damals hatten wir über die Möglichkeiten der Förderung von OER aus der politischen Perspektive gesprochen. Diese Möglichkeiten wurden mit der Förderlinie nun, knapp zwei Jahre später, geschaffen. Das ist großartig! Besonders schön daran ist, dass die Förderlinie sehr fokussiert ist auf die Verbreitung der Verwendung von OER. Nach meiner Auffassung sind OER nämlich immer nur Mittel zum Zweck, also man interessiert sich schon für OER, aber nur, wenn sie das Leben von Lehrenden vereinfachen und Lehrmaterialien verbessern können. OER können also nur Mainstream werden, wenn sie die Probleme des Mainstreams anpacken.

 

OERinfo: Was kann getan werden, damit OER Mainstream werden?

Dominic Orr: Die internationalen Erfahrung zeigen, dass es darum geht, Akzeptanz für OER zu entwickeln, damit OER nicht als etwas Besonderes sondern als normal angesehen werden. Dafür sollten wir die „fuzziness“ des Begriffs OER anerkennen. Was genau OER sind, ist häufig unklar. Daher sollten die unterschiedlichen Typen von OER in Diskussionen, bei Unterstützungsmaßnahmen und in Evaluationen auch benannt werden. Das geschieht noch zu selten. Außerdem plädiere ich dafür Belege zu sammeln, die das Potenzial von OER aufzeigen. Hier ist es so, dass viele OER-Initiativen vieles machen wollen, aber dabei selten Informationen und Daten für die Erfolge ihrer Projekte sammeln. Das ist aber wichtig wenn es darum geht, Unterstützung durch politische Maßnahmen zu erreichen.

 

OERinfo: Als zentralen Punkt stellen Sie heraus, dass OER eine soziale Innovation sind und dass vor allem die Vernetzung gelingen muss, damit OER Mainstream werden kann. Wer muss sich dafür mit wem vernetzen?

Die Informationsstelle OER bewegt sich im Kontext der aktuellen Förderung des BMBF zum Thema „Digitale Bildung“. Mit dieser Förderlinie wird nun in den Bildungsbereichen Schule, Hochschule, Berufsbildung und Weiterbildung der Kompetenzaufbau zum Thema OER in Organisationen der Fort- und Weiterbildung gefördert mit dem Ziel der Sensibilisierung und Qualifizierung von pädagogischem Personal und Multiplikatoren.

Dominic Orr: Es ist es total wichtig, über das Projektziel hinaus zu denken. Sollen die Projekte eine langfristige Wirkung haben, dann muss die Vernetzung der Projektpartner zunächst einmal untereinander klappen. Auch wenn man jetzt Mittel für die Umsetzung eines Projekts bekommen hat, müssen alle Projektverantwortlichen nun auch überlegen, welche Bedeutung das was sie machen für das Bildungssystem insgesamt hat. Sie sollten also über ihr eigenes Projekt und eigene Projektlogik hinaus denken. Das ist immer ein bisschen schwierig, weil Projektlaufzeit und bestimmte Ziele ja im Projektantrag schon festgelegt wurden und somit bereits vorgegeben sind. Es ist schon wichtig, dass man dennoch überlegt, welche Rolle dieses Projekt im Ganzen spielt. Der Punkt ist, dass die Personen, die jetzt an den OER-Projekten arbeiten, zum großen Teil schon von diesen vernetzten Arbeitspraktiken überzeugt sind. Innerhalb der Projekte wird kollaborativ gearbeitet und auch die Projekte untereinander arbeiten bereits zusammen, das ist aber nur die halbe Miete. Eine Lektion, die man aus der Förderlinie in Großbritannien lernen kann ist: Es gibt eine Gefahr, dass diese Gruppe sehr auf sich selbst fokussiert ist. Es muss geschaut werden, wie die sehr große Gruppe von potenziellen Nutzern von OER zu erreichen ist, die aktuell und vielleicht für immer komplett uninteressiert am OER sind! Die, die einfach guten Unterricht machen wollen. Ob die Materialien jetzt gerade OER sind oder nicht, ist für sie erst einmal egal. Daher ist der Schwerpunkt auf die Professionalisierung von Multiplikatoren und die breite Vermittlung des Themas Verwendung von OER nach außen so wichtig.

 

OERinfo: Wie kann das gelingen?

Dominic Orr: Bei OER geht es um eine soziale, weniger um technische Innovation. Die Veränderung der sozialen Praxis, die dann schließlich viele nachahmen, treibt den Wandel an. Es geht um die Verwendung von Praktiken in einem sozialen Umfeld. Insofern: die technische Seite ist schon wichtig, aber es geht ja um die Nutzer und die Nutzung.
Um das zu verdeutlichen, verwende ich eine Bleistift-Metapher. Danach gibt es sechs verschiedene Personentypen, die in verschiedener Weise mit solchen Innovationen umgehen. Besonders interessant sind, glaube ich, die zwei extremen Formen.
Auf der einen Seite hat man die sogenannte Spitze oder vielmehr The Leaders. Den Leaders sagt man nach, dass sie überzeugt von OER sind und sie auch dann nutzen werden, wenn gewisse Unannehmlichkeiten damit verbunden sind. Sie sind quasi komplett überzeugt.

Grafik wurde übernommen aus Open Educational Resources - Advancing Widespread Adaption to Improve Instruction and Learning, Hewlett Foundation, Dezember 2015: http://www.hewlett.org/wp-content/uploads/2016/11/Open_Educational_Resources_December_2015.pdf.
Grafik wurde übernommen aus Open Educational Resources – Advancing Widespread Adaption to Improve Instruction and Learning, Hewlett Foundation, Dezember 2015: (PDF). Lizenz in Klärung.

Dann haben wir die andere Gruppe, man nennt sie die ‚Eraser‘ (Radierer). Sie entsprechen dem Radiergummi am Bleistift. Sie wirken die ganze Zeit gegen solch eine Entwicklung, sie sind eigentlich gegen alles, was die Innovation ausmacht. Diese beiden Gruppen sind relativ klein. Die größte Gruppe bildet das Holz von dem Bleistift. Das ist ein Wortspiel, Holz, auf englisch Wood steht für: they would work with. Also sie würden die Technologie übernehmen. Sie würden OER verwenden, aber nur wenn es besonders einfach ist für sie.

 

OERinfo: Eine ähnliche Einteilung hatte ja auch Martin Weller schon einmal vorgenommen.

Dominic Orr: Genau, diese drei Gruppen passen ganz gut auch zu der Einteilung, die Martin Weller verwendet hatte. Für ihn gibt es die Fans, was in meinem Beispiel gerade gerade die Leaders oder auch die Spitze von dem Bleistift waren. Dann gibt es die, die OER fakultativ verwenden. Und dann gibt es die, die komplett uninteressiert sind an OER. Das ist wahrscheinlich die größte Gruppe. Diese Gruppe ist für alle Projekte, die nun gefördert werden die größte Herausforderung. Denn wir wollen ja, dass die OER verwenden. Wir wollen ja OER Mainstreaming. Wir wollen, dass keiner mehr über OER zu sprechen braucht, weil es dermaßen in das System integriert ist, dass es quasi normale Praxis ist. Und dann, wenn es soweit ist, würden es die Desinteressierten natürlich genauso verwenden wie alle anderen auch.

 

OERinfo: Den Blick über den Tellerrand und den Austausch mit Akteuren international haben Sie in diesem Zusammenhang ja besonders betont.

Dominic Orr: Ja, denn wichtig ist: Deutschland ist nicht das erste Land, das eine solche Initiative ergreift, was eigentlich ein großer Vorteil ist. Denn das bedeutet, dass man die Gelegenheit hat von anderen zu lernen. Und es gibt viele Initiativen, von denen man lernen kann. Das Schöne ist ja bei dieser sogenannten OER-Gemeinschaft, dass die Leute sehr offen sind und meistens auch sehr gerne über die verschiedenen Erfahrungen sprechen. Die Frage ist, wie findet man relevante Ansprechpartner? Dafür haben wir ja die OER World Map als einen ersten Anlaufpunkt. Dort kann man mal schauen, wo es schon ähnliche Initiativen gibt. Ich würde schon alle Projektbeteiligten dazu auffordern zu schauen, wo es ähnliche Projekte gibt, von denen man lernen kann.

 

OERinfo: Sie sagten in Ihrem Vortrag, die OER-Welt schaue neugierig darauf, was nun in Deutschland geschieht.

Dominic Orr: Ja, auf jeden Fall! In Sachen OER schaut die Welt nun auf Deutschland. Wenn Deutschland eine Förderlinie zu OER in dieser Größenordnung aufsetzt, dann wird besonders interessiert hingeschaut. Kürzlich war ich bei einem Seminar der OECD in Berlin. Da ging es um neue Entwicklungen im Hochschulbereich, die mit dem Wort ‚Open‘ zusammenhängen. Das Publikum war sehr international, wir waren, glaube ich, 40 Leute aus vielleicht 30 verschiedenen Ländern. Dort habe ich die Förderlinie zu OER kurz erwähnt. Alle waren sehr interessiert und ich denke man hat die Idee, in Deutschland könnte es mit den Projekten dieser Förderlinie wirklich einen Wechsel in der Wahrnehmung von OER geben. Und das ist ja genau das wonach wir eigentlich wirklich suchen, wenn wir über Mainstreaming OER sprechen.

 

OERinfo: Vielen Dank für das Gespräch!

Creative Commons LizenzvertragDieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz.
Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Gabi Fahrenkrog für OERinfo – Informationsstelle OER.,
Dominic Orr für Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie.

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