Learning in the Driver-Seat! Ein Mindset für Lernende an Hochschulen

Die deutschen Hochschulen verstehen sich als „Zukunftswerkstätten der Gesellschaft“ (vgl. HRK 2018). Nehmen wir dieses positiv visionäre Bild zum Ausgangspunkt! Dann haben Hochschulen den Bildungsauftrag, Studierende als verantwortungsbewusst Gestaltende auszubilden. Zur Bewältigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Herausforderungen. Doch wie können die für dieses Leitbild notwendigen Kompetenzen bei Studierenden gefördert werden? Wie müssen Lehre und Studium aussehen, wenn rezepthafte Routinen vermieden und resiliente, flexible Gestaltungskompetenzen entwickelt werden sollen?

Bildungsauftrag: Understanding, Investment, Compliance, Autonomy
Continuum of Ownership, Grafik: Barbara Bray und Kathleen McClaskey (Inhalte), Sylvia Duckworth (Design), (via kathleenmcclaskey.com), CC BY-NC-ND 4.0

Ein Beitrag von Julia Gillen

Instruktion und Konstruktion in Lernprozessen

Bei dieser Ausgangsfrage lohnt sich ein Blick in die Unterscheidung zwischen Instruktion und Konstruktion in Lernprozessen (vgl. Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001, 624ff.). Danach wird als Instruktion die Handlung der Lehrperson im Lernprozess im Sinne von Anleiten, Darbieten, Erklären sowie Unterstützen und Beraten verstanden. Unter Konstruktion wird demgegenüber die Lernhandlung der Lernenden gefasst, die sechs Prozessmerkmale umfasst. Demnach wird Lernen als aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver, situativer, emotionaler und sozialer Prozess verstanden. Die Prozessmerkmale machen deutlich, dass Lernen als eigenständige und aktive Handlung begriffen werden muss, die von den Lernenden selbst ausgeht und ausgehen muss und nicht von außen hergestellt werden kann. Diese Prozessmerkmale nehmen also die Lernenden, ihr Handeln und ihre eigene Verantwortung für das Lernen in den Blick.

Lernen im Driver-Seat

Doch wie lässt sich die Verantwortung für das eigene Lernen im Studium konkret fördern? In diesem Kontext wird an US-amerikanischen Universitäten inzwischen sehr deutlich zwischen einem traditionellen teacher-centered Design für hochschulische Lehre und einem learner-centered oder learner-driven Design unterschieden (vgl. Stanford University 2023). Damit wird ein Lehransatz verfolgt, der die konstruktive Lernhandlung der Studierenden fokussiert und konsequent aus der Perspektive der Lernenden konzipiert ist. In learner-driven Designs werden Lernende als zentrale Akteur*innen des Lernens begriffen. Daran wird auch die Gestaltung der Lernformate orientiert:

  1. Lernziel – Was werden die Studierenden am Ende des Kurses können?
  2. Lernziel – Was werden die Studierenden am Ende der Kurseinheit können?
  3. Beurteilung – Wie erfahren wir, ob die Studierenden Fortschritte machen?
  4. Lernaktivität – Was müssen Studierende üben, um Fortschritte zu machen?
  5. Inhalt – Was benötigen die Studierenden von der bzw. dem Dozierenden, um Fortschritte zu erzielen?

Durch diese Grundfragen und Orientierungen wird Studierenden besondere Freiheit und Verantwortung dabei zugemessen, wie sie die Lernziele einer Lehrveranstaltung erreichen. Durch die aktive Rolle der Lernenden bei der Entscheidung, Planung und Erstellung von Kursinhalten wird davon ausgegangen, dass die Studierenden eine höhere Motivation und ein größeres Engagement entwickeln:

This high degree of autonomy over the learning process is meant to foster not only higher student motivation and engagement but also self-initiated action and inquiry. Thus, this teaching tip provides examples and suggestions for how to shift common course assignments and activities toward a more learner-driven approach. (Tess-Navarro 2023).

Konkret bauen Studierende Wissen auf, indem sie Informationen sammeln, synthetisieren und diese mit den allgemeinen Fähigkeiten des Forschens, der Kommunikation, des kritischen Denkens, der Problemlösung usw. kombinieren. Damit werden sie aktiv eingebunden und erhalten Verantwortung, der sie gerecht werden müssen. Für diesen Lehransatz stellen kuratierte OER eine ganz wesentliche Ressource dar, weil sie den Standards wissenschaftlichen Arbeitens genügen.

Konsequenzen für die Rolle der Lehrenden

Die Rolle der Dozierenden besteht im Lehransatz des learner-centered Designs darin, Studierende im Lernprozess zu unterstützen und lernförderliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Lehre und Prüfungen werden dabei miteinander verknüpft und nicht getrennt voneinander gesehen, weil die Beurteilung der Förderung und Diagnose des Lernens dient.

Die Lernkultur lässt sich als kooperativ, kollaborativ und unterstützend beschreiben. Dazu werden im Wesentlichen offene und gestaltungsorientierte Methoden wie Projektlernen, problem-based Learning oder challenge-based Learning eingesetzt. Diesen Methoden ist inhärent, dass sie authentische Lernerfahrungen ermöglichen und den Studierenden den Raum geben, Konzepte und Beziehungen in Kontexten zu erforschen, zu diskutieren und sinnvoll zu konstruieren.

Auf diesem Weg kann es Hochschulen gelingen sich als Zukunftswerkstätten der Gesellschaft zu formieren und ihren Bildungsauftrag zu realisieren, Studierende als verantwortungsbewusst Gestaltende zur Bewältigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Herausforderungen auszubilden.

Literatur

HRK (2018). Für eine Kultur der Nachhaltigkeit. Hochschulrektorenkonferenz. https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-01-Beschluesse/HRK_MV_Empfehlung_Nachhaltigkeit_06112018.pdf (letzter Zugriff am 06.11.2018)

Stanford University (2023): Teacher-centered vs. Student-centered course design. https://teachingcommons.stanford.edu/teaching-guides/foundations-course-design/theory-practice/teacher-centered-vs-student-cen-tered#:~:text=Student%2Dcentered%20mindsets%20view%20the,as%20passive%20and%20uniform%20vessels (Letzter Zugriff am 17.08.2023).

Tess-Navarro, J. (2021): Learner-Centered vs. Learner-Driven Designs. https://oakland.edu/cetl/teaching-resources/teaching-tips/2021/Learner-Driven-Design (Letzter Zugriff am 17.08.2023)

Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H. (2001): Unterrichten und Lernumgebungen gestalten. In: Krapp, A./Weidenmann, B. (Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch. 4. Auflage. Weinheim, S. 601-646.

 

Creative Commons LizenzvertragDieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name der Urheberin soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Julia Gillen, Leibniz Universität Hannover für OERinfo

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