Demokratie und Partizipation beginnen nicht erst in der Schule – sie sind von Anfang an essenziell. Frühkindliche Bildungs- und Betreuungseinrichtungen spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie Kindern ermöglichen, demokratische Prozesse aktiv zu erleben und mitzugestalten. Warum das so wichtig ist und welche Materialien das Zentrum PEP zur Unterstützung bereitstellt, zeigt dieser Beitrag.

Ein Beitrag von Epping, D., Flöter, M., Gruber, L., Libiseller, A., Nowak, V. & Westphal, S.
Rechtliche Grundlagen
Sowohl im internationalen als auch im nationalen Recht wird definiert, dass jedes Kind das Recht auf Mitbestimmung, Mitwirkung, Beteiligung und Teilhabe hat. Im internationalen Kontext wird das kindliche Recht vor allem durch die UN-Kinderrechtskonvention (z.B. Artikel 2, 12, 19 u. W.) und die EU-Grundrechtecharta (Artikel 24) gestützt und gestärkt. Im nationalen Kontext sagt bspw. § 1 des BGB, dass jeder Mensch bereits mit Vollendung der Geburt Inhaber:in aller geltenden Gesetze ist. Dies ist u.a. zentrale Grundlage für eine demokratische Gesellschaft. Vor dem Hintergrund der Vielfalt, welche unsere Gesellschaft prägt, ist deshalb unabdingbar, dass Kinder früh erfahren, dass sich alle Menschen beteiligen dürfen und Wertschätzung und Fürsorge füreinander im Zentrum des Handelns stehen.
Partizipation und Demokratie wollen demnach gelernt sein – und das von Anfang an. Kinder können dies nur lernen, wenn sie es auch selbst (er-)leben. Aus diesem Grund ist es essenziell, sich im Rahmen von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen dieser vielschichtigen Thematik niedrigschwellig anzunähern.
Warum sind Demokratiebildung und Partizipation schon in der frühkindlichen Bildung wichtig?
Wenn das Recht auf Beteiligung in Kindertageseinrichtungen in allen alltäglichen Interaktionen eingelöst wird, erfährt das einzelne Kind einerseits, dass die eigene Meinung bedeutsam ist. Es erlebt sich als eigenständige, gleichwertige Persönlichkeit, dessen Bedürfnisse und Interessen von den begleitenden Fachpersonen wertgeschätzt werden. Gleichzeitig erfährt das Kind, dass es Teil einer Gruppe ist, dass Personen verschieden sind und unterschiedliche Bedürfnisse haben, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen (Walter-Laager et al., 2017). Damit entwickeln Kinder ein demokratisches Grundverständnis und die Befähigung dafür, wie Zusammenleben in einer vielfältigen Gemeinschaft funktionieren kann.
Aus der Forschung (z.B. Hildebrandt et al., 2021; Neumann & Hekel, 2017; Venninen & Leinonen, 2012 u. W.) wissen wir, dass Elementarpädagog:innen in dem Zusammenhang eine bedeutende Rolle zukommt, da der Grad an Beteiligungsmöglichkeiten zu einem großen Teil von der pädagogischen Fachperson abhängig ist (Neumann & Hekel, 2017). Gestalten Fachpersonen Interaktionen mit den Kindern diversitätssensibel, partizipativ und wertschätzend, können sie Kindern wichtige soziale und demokratierelevante Kompetenzen mitgeben. In feinfühlig und partizipativ gestalteten Interaktionen erfahren Kinder, dass ihre Gedanken, Bedürfnisse und Meinungen und die der anderen Kinder wahrgenommen und respektiert werden (Nentwig-Gesemann et al., 2016). Kinder lernen Selbstsicherheit, übernehmen Verantwortung für ihr Wohlbefinden und das der anderen und spüren so Selbstwirksamkeit.
Die Arbeit am Zentrum PEP
Wir am Zentrum PEP setzen deshalb einen großen Schwerpunkt auf Interaktionsqualität und Partizipation – sowohl in der Qualifizierung von elementarpädagogischen Fachpersonen als auch in der Forschung. So begleiten wir z. B. Teams, aber auch die auszubildenden Elementarpädagog:innen im Rahmen der Bundesinitiative Elementar+ mit dem standardisierten Beobachtungsinstrument GrazIAS (Grazer Interaktionsskala; Walter-Laager et al., 2022), um sie bei der Weiterentwicklung der Qualität ihrer Fachkraft-Kind-Interaktionen individuell zu unterstützen.
Zudem beteiligen wir uns an Forschungsprojekten mit dem Schwerpunkt Partizipation, z. B. an der deutschlandweiten Studie BiKA (Beteiligung in Kita-Alltag; Hildebrandt et al., 2021). Auf der Basis von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickeln wir stetig Materialien in verschiedenen Kontexten, die auf der OER-Plattform der Universität Graz abrufbar sind.
OER-Materialien des Zentrum PEP
Das Zentrum PEP verfolgt den Ansatz, die entwickelten Materialien vielfältig und abwechslungsreich zu gestalten. Dadurch sind die Materialien für verschiedene Zielgruppen interessant. Von Fachbeiträgen, Interviews mit Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis über Teamgespräche, animierte Erklärvideos, Podcasts, bis hin zu Impulstexten, Reflexionsmaterialien oder interaktiven Lerneinheiten ist alles vertreten, sodass Interessierte über das OER-Portal der Universität Graz (Elementarpädagogik)* auf die unterschiedlichsten Materialien zugreifen können. In den sieben Kategorien „Diversität und Inklusion“, „Partizipation und Kindeswohl“, „Professionelle Bildungsarbeit“, „Bildungspartnerschaften und Übergänge“, „Berufliche Identität“, „Qualitätsentwicklung und -sicherung“ sowie „Erwachsenenbildung/Methoden“ werden mit über 1000 verschiedenen Materialien die (thematische) Vielfalt im Feld der Elementarpädagogik und die unterschiedlichen Arbeitsfelder sowie die heterogenen Interessen der Nutzenden berücksichtigt. (*Hinweis der Redaktion: Die meisten über das Portal veröffentlichten Materialien stehen unter der Lizenz CC-BY-ND (4.0) und gelten dementsprechend nach der „strengeren“ Definition nicht als reine OER)
OER-Materialien zu den Themen Partizipation und Demokratiebildung

In Bezug auf die Demokratiebildung mit Kindern sind somit beispielsweise sowohl anregende Materialien als auch ein Poster mit Begleitmaterialien zu den Kinderrechten entstanden. Diese ermöglichen es, sich praxisnah und in der Interaktion mit den Kindern der Thematik anzunähern.
Aber auch Fallvignetten zu unterschiedlichen Bildungsbereichen oder Anregungen für die partizipative Alltagsgestaltung, eine partizipative Konfliktbegleitung und die Raumgestaltung sollen eine Reflexion des eigenen pädagogischen Alltags anregen. Darüber hinaus können auf der Plattform weitere Impulse dazu entdeckt werden, wie partizipativ mit den Kindern die Welt entdeckt und über Sinnfragen diskutiert werden kann. Andere Materialien fokussieren eine anregende, partizipative Interaktionsgestaltung, welche die Kinder in ihrer Selbstwirksamkeit unterstützt und ein gemeinsames Philosophieren anregt. Ein digitales Tool, um Kinder darin zu bestärken, eigene Anliegen und Bedürfnisse zum Kita-Alltag zu äußern, ist die GrazIAS Kinderperspektive.
Neben diesen grundlegenden Aspekten für ein wertschätzendes Miteinander bedarf es jedoch auch einer differenzierten Auseinandersetzung mit einer diversitätsorientierten, inklusiven Pädagogik. Für eine gelungene Demokratiebildung ist deshalb eine Auseinandersetzung mit vielfältigen Lebensrealitäten in der Zusammenarbeit mit Kindern und Familien unabdingbar. Damit geht auch die Frage einher, wie Vielfalt mit den Kindern thematisiert werden kann und was es in dem Zusammenhang im pädagogischen Alltag zu berücksichtigen gilt. Durch die gezielte Auswahl von Medien kann Vielfalt auch im Einrichtungsalltag abgebildet werden. Hier können zum Beispiel Kinderbücher, welche Menschen mit Behinderung wertschätzend und in unterschiedlichen Rollen darstellen, zu einer gelungen inklusiven Praxis beitragen. Auch die Auseinandersetzung mit armutssensiblem Handeln, der Bedeutung von Geschlecht oder Alltagsrassismen und einem diskriminierungssensiblen, intersektionalen Ansatz sind in dem Zusammenhang von zentraler Bedeutung.
Fazit und Kontakt
Für eine gelungene Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Partizipation und Demokratiebildung im elementarpädagogischen Alltag ist es demnach essenziell, dass alle Interaktionen Raum für Partizipation und damit für die Autonomieentwicklung der Kinder bieten und gleichzeitig Raum dafür geschaffen werden muss, dass alle Kinder chancengerecht mitgestalten können. Hinzukommt, dass durch die gesetzliche Rahmung nicht zur Entscheidung steht, ob, sondern wie Kinder beteiligt werden (Pölzl-Stefanec & Epping, 2023; Epping & Barta, 2022; Walter-Laager et al., 2018).
Wir hoffen mit unseren Bildungs- und Qualifizierungsmaterialien einen Beitrag für die Demokratiebildung in der elementarpädagogischen Praxis leisten zu können und bedanken uns vielmals für Ihr Interesse. Wir wünschen viel Freude mit unseren zahlreichen Materialien. Bei Fragen wenden Sie sich gern an uns: info [at] zentrum-pep [dot] de
Quellen
Epping, D. & Barta, M. (2022). Partizipationsanlässe als Lernprozesse – Beteiligung der Kinder im pädagogischen Alltag. In. KITAaktuell. Hürth. Wolters Kluwer Verlag.
Hildebrandt, F., Walter-Laager, C., Flöter, M., & Pergrande, B. (2021). Abschlussbericht zur Studie BiKA – Beteiligung von Kindern im Kitaalltag. https://oer-portal.uni-graz.at/edu-sharing/components/render/881d15fb-30a8-44c6-87d4-85c00f990e21?id=bffff7a3-6462-47ff-ba03-9d5f3466aa18&viewType=1
Nentwig-Gesemann, I. & Nicolai, K. (2016). Interaktive Abstimmung in Essenssituationen – Videobasierte Dokumentarische Interaktionsanalyse in der Krippe. In Wadepohl, H., Machowiak, K., Fröhlich-Gildhoff, K., & Weltzien D. (Hrsg.), Interaktionsgestaltung in Familie und Kindertagesbetreuung (S. 53-81). Springer.
Neumann, S. & Hekel, N. (2017). Partizipation in der frühesten Kindheit. Ein ethnographiebasiertes Praxisprojekt zur Akteurschaft von Kindern in schweizerischen Kindertageseinrichtungen (PINKS). http://158.64.76.181/bitstream/10993/33873/1/PINKS_Mercator%20Magazin.pdf.
Pölzl-Stefanec, E. & Epping, D. (2023). Die Macht der Beteiligung. Die Haltung der pädagogischen Fachkräfte zählt. In. KrippenKinder. Praxiswissen für den U3-Alltag. (1), 10-14. Stuttgart. Klett Kita GmbH.
Venninen, T. & Leinonen, J. (2012). Devloping Children´s Partizipation through research & reflective practices. https://www.semanticscholar.org/paper/Developing-Children%C2%B4s-Participation-through-and-Tuulikki-Jonna/a430e0d571461c676557dacaa77ef40271b1eb34.
Walter-Laager, C., Barta, M., Flöter, M., Geißler, C., Bachner, C., Epping, D., Sonnleithner, T., & Pölzl-Stefanec, E. (2022). Grazer Interaktionsskala für Kinder bis sechs Jahre (GrazIAS 0–6) (2. vollständig überarbeitete Auflage). Universität Graz.
Walter-Laager, C.; Pölzl-Stefanec, E.; Gimplinger, C. & Mittischek, L. (2018). Gute Qualität in der Bildung und Betreuung von Kleinstkindern sichtbar machen. Arbeitsmaterial für Aus-, Fort- und Weiterbildungen, Teamsitzungen und Elternabende. Graz: Karl-Franzens-Universität. https://static.uni-graz.at/fileadmin/projekte/krippenqualitaet/Begleitheft_GQSM_Gute_Qualitaet_sichtbar_machen.pdf
Walter-Laager, C., Pfiffner, M. & Fasseing-Heim, K. (2017). Beziehungen in der Kindheit. Soziales Lernen in frühpädagogischen Einrichtungen verstehen und unterstützen. Bern: hep.
