Wird KI das nächste große Open-Thema? Fünf Gründe, die dafür sprechen.

Ein Meinungsbeitrag von jOERan Muuß-Merholz

Ein Foto von Erdmännchen. (Warum? Alle Versuche, das Thema KI zu visualisieren, zeugen von der Hilflosigkeit, dass genau das nicht geht. Wir versuchen es daher an dieser Stelle gar nicht erst.) Foto: Sharp Photography (via Wikimedia Commons), CC BY 4.0

Mit künstlicher Intelligenz (KI) werden nun auch für die Bildung große Verheißungen diskutiert. Das Thema hat die Open-Community erreicht. In seinem Meinungsbeitrag liefert Jöran Muuß-Merholz fünf Perspektiven, unter denen sich OER-Interessierte das Thema KI anschauen sollten.

Künstliche Intelligenz als Hype?

Vor einigen Monaten interviewte ich einen Experten zum Thema Künstliche Intelligenz. Ich fragte: „Halten Sie den Umgang mit dem Thema KI in der Bildung derzeit für einen Hype?“ Jenseits der Kamera antwortete er im Vorgespräch: „Nein, das ist kein Hype. Das ist Hysterie!“
Das ist wohl etwas dran. Zumindest gefühlt lässt sich derzeit für keinen Bereich einfacher eine Finanzierung einwerben als für Irgendwas-mit-KI. Im Umkehrschluss muss das aber nicht heißen, dass in diesem Feld nicht auch wichtige Diskussionen geführt werden oder geführt werden sollten.

KI als Openness-Thema

Für das Thema OER ist Künstliche Intelligenz auf mehreren Ebenen ein Thema. Hier kommen fünf Perspektiven:

  1. KI unterstützt OER
    In mehreren Projekten wird daran gearbeitet, KI zur Verbesserung von OER einzusetzen. Dabei geht es zum Beispiel um die Suche und Auffindbarkeit von Materialien, um automatische Verschlagwortungen oder Übersetzungen, bis hin zu Modellen und Methoden für die automatisierte Bewertung und Qualitätssicherung. (Zu diesem Themenkomplex gibt es hier bei OERinfo ein Interview mit Robert Schuwer 2019, die Vorstellung des Projekts X5gon 2019 und einen Artikel von Gabi Fahrenkrog von 2019. Im Projekt Jointly ist ein ausführliches Dokument „Künstliche Intelligenz für Open Educational Resources“ entstanden.)
  2. OER über das Thema KI
    Eine ganz andere Perspektive: Mithilfe von offenen Materialien können Menschen etwas über das Thema KI lernen, beispielsweise in Form von offenen Onlinekursen und Unterrichtsmaterialien. Aus mehreren Ländern gibt es Erfolgsgeschichten über MOOCs zu KI (z.B. aus Finnland oder Niederlande, allerdings nicht OER im Sinne einer freien Lizenzierung).
  3. Illustration – zwei Roboter beugen sich über die Buchstaben OER
    Roboter OER, Grafik: Annett Zobel, CC0.
  4. KI beendet OER
    Die folgende Perspektive wird bisher noch kaum diskutiert: Der breite Einsatz von KI in der Bildung könnte dazu führen, dass das Konzept OER nicht mehr funktioniert. Der Hintergrund: Im Mittelpunkt der Idee von OER steht eine Ressource, ein Material, ein Werk. Die freie Lizenz, die für OER wesentlich ist, kann und muss sich immer auf ein konkretes Werk beziehen. Das Urheberrecht geht dabei davon aus, dass dieses Werk von einem Menschen geschöpft wurde.
    Das große Versprechen der KI für Bildungsmaterialien sieht vor, dass es nicht mehr statische Materialien sind, mit denen eine lernende Person arbeitet. Vielmehr wird dieses Material durch einen Algorithmus an die Bedürfnisse und Voraussetzungen der konkreten Person in der konkreten Situation angepasst. Je feiner man diese Anpassung denkt, desto stärker verändert sich das Konzept von „Material“. Zum einen, weil das Material keinen festen Zustand mehr hat, auf den die freie Lizenz angewandt werden kann. Materialien werden fluide; Algorithmen werden wichtiger als Ressourcen. Zum anderen, weil das Material nicht mehr vom Menschen, sondern von der Machine geschöpft wird. Für beide Fälle sind die etablierten freien Lizenzen nicht einfach übertragbar. Hier muss sich die Ausrichtung von OER verändern – oder KI wird das Konzept OER buchstäblich auflösen.
  5. OER hilft KI
    Es kann sich auch herausstellen, dass KI im Bildungsbereich maßgeblich auf den Einsatz von OER angewiesen sein wird. Damit die Algorithmen vorhandene Materialien verwenden, verändern und vermischen können, müssen sie dafür die Erlaubnis – urheberrechtlich gesprochen: eine Lizenz – bekommen. Als OER lizenzierte Ressourcen bieten sich in dieser Hinsicht quasi als denkbar einfachste Materialien an, die man einer KI als „Futter“ geben kann. (In gewisser Weise ist diese These die Umkehrung von These 3. Nur scheinbar paradoxerweise kann erst 4. und dann 3. wahr werden.)
  6. In loser Folge erscheinen in der Reihe „jOERans Meinungsbeiträge“ Kommentare, die Diskussionen rund um OER anregen sollen. Wir freuen uns sehr, wenn Sie Ihre Einschätzungen, Erfahrungen und Fragen unten als Kommentar veröffentlichen. In dieser Reihe geht es – wie der Name schon sagt – nicht zwingend um eine Positionierung von OERinfo.
    In loser Folge erscheinen in der Reihe „jOERans Meinungsbeiträge“ Kommentare, die Diskussionen rund um OER anregen sollen. Wir freuen uns sehr, wenn Sie Ihre Einschätzungen, Erfahrungen und Fragen unten als Kommentar veröffentlichen. In dieser Reihe geht es – wie der Name schon sagt – nicht zwingend um eine Positionierung von OERinfo.

  7. Offenheit vs. Black Box
    Eine wesentliche Eigenschaft von KI besteht darin, dass die Funktionsweisen der Algorithmen nicht offensichtlich sind. Sie funktionieren wie eine Black Box: Man kann sehen, was hinein geht und was herauskommt – aber nicht, was dazwischen passiert und was zu den Ergebnissen führt.

    Hier sind diejenigen, die sich für Offenheit in der Bildung engagieren, mit einer Geschlossenheit in neuem Sinne konfrontiert. Offenheit bei KI heißt an dieser Stelle Einsehbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Veränderbarkeit der Funktionsweise. Gleichzeitig reicht es nicht aus, die Idee von Open Source auf KI anzuwenden. Fortgeschrittene Funktionsweisen von KI sind auch beim besten Willen nicht mehr „offenzulegen“. Hier haben wir es mit Herausforderungen in Sachen Offenheit auf einem ganz neuen Level zu tun.

Mehr zum Thema KI und OER

Am Ende von Abschnitt 1) oben wurden bereits einige weiterführende Links aufgelistet. Für einen breiteren Fokus gibt es eine weitere Empfehlung: Im Forum:Open Education 2020 hat sich eine Fachgruppe aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mit dem Thema „Lernen mit und über Künstliche Intelligenz“ beschäftigt. Die gut dokumentierten Ergebnisse bieten einen guten Einstieg mit einer #openness-Brille.

Außerdem lohnt sich ein Blick auf den Bericht der Enquetekommission Künstliche Intelligenz des Deutschen Bundestags, veröffentlicht am 2.11.2020.

Was denken Sie?

Soweit der Meinungsbeitrag von jOERan Muuß-Merholz. Die Kommentare sind offen. Haben Sie Fragen? Weitere Punkte zum Thema? Oder Widerspruch? Wir freuen uns über jeden Beitrag, der der Meinungsbildung dient!

Creative Commons LizenzvertragDieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Jöran Muuß-Merholz für OERinfo – Informationsstelle OER.

2 Kommentare zu “Wird KI das nächste große Open-Thema? Fünf Gründe, die dafür sprechen.

  • Florian Rampelt :

    Zum Thema “OER über das Thema KI” lohnt es sich zu erwähnen, dass der BMBF-geförderte KI-Campus (www.ki-campus.org) komplett auf eine CC BY-SA 4.0 Lizenz setzt. Da gibt es also auch in Deutschland schon was :-).

    Ansonsten ist eine Verwirklichung von These 4 mEn gar nicht so unwahrscheinlich. Die großen Potenziale von OER-Strategien im Bildungs- und Plattformkontext sollten auch mit solchen Argumenten immer wieder auch im bildungspolitischen Diskurs betont werden.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Florian Rampelt Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte beachten Sie auch unsere Datenschutzerklärung.