Die Verbindung von Open Educational Resources (OER) und Künstlicher Intelligenz (KI) verspricht für eine zukunftsfähige berufliche Weiterbildung Vorteile: Mit Hilfe von KI können OER zielgruppen- und bedarfsgerecht gestaltet und an berufs- und betriebsspezifische Einsatzbereiche angepasst werden. Umgekehrt profitieren KI-basierte Assistenzsysteme beim Training und bei der Bearbeitung von Nutzeranfragen von qualitativ hochwertigen Daten aus OER. In diesem Beitrag wollen wir anhand einfacher (Open-Source-)Beispiele zeigen, welche Möglichkeiten KI bietet, um OER zu generieren. Außerdem gehen wir darauf ein, wie OER genutzt werden können, um KI-basierte Lernassistenten zu gestalten und wie Verknüpfungen von OER-Portalen mit modernen KI-Verfahren aussehen können, um Lerninteressierten passgenau die richtigen Lernmaterialien zur richtigen Zeit zu empfehlen.
Ein Beitrag von Dr. Andreas Fischer, Anna Jöchner und Dominique Dauser
KI kann einerseits die Qualität von OER erhöhen und deren Produktion effizienter machen, andererseits können durch OER der Output von KI verbessert und KI-Anwendungen zu kompetenten Lernhilfen in der Berufsbildung werden. OER stellen natürlich auch ein Hilfsmittel dar, um Nutzende im Umgang mit KI zu schulen.
Darüber hinaus kann KI dazu beitragen, die Auffindbarkeit und Lerneffektivität von OER zu verbessern. Dazu dient die KI-basierte Verwaltung von Bildungs- und Wissensinhalten. Durch die statistische Vorhersage des Wissenszuwachses von Lernenden können KI-Tools zudem als Lernlotsen im Bildungsraum fungieren. KI-gestütztes Entscheidungsmanagement wiederum ermöglicht die Ableitung von Lernempfehlungen (Fischer et al., 2024). Mit Hilfe von KI können OER für diese Zwecke entsprechend aufbereitet, kategorisiert und vorsortiert werden. Aufgrund des damit verbundenen Aufwands wäre dies manuell kaum leistbar.
KI für effizientes Generieren, Optimieren und Produzieren von OER
Generative KI ist darauf ausgelegt, neue Inhalte in Form von Text, Bild und/oder Ton aus zuvor eingespeisten Daten zu erzeugen. Seit dem Durchbruch der generativen KI im Jahr 2022 – zunächst mit Bildgeneratoren wie Dall-E oder Stable Diffusion und spätestens mit der Einführung des Textgenerators ChatGPT Ende 2022 – ist allgemein bekannt, dass KI zur Herstellung hochwertiger Inhalte eingesetzt werden kann. Es hat sich aber auch gezeigt, dass eine gute Qualität des Outputs keine Selbstverständlichkeit ist, sondern vom Input und von einer kompetenten Handhabung der KI durch die Nutzenden – in diesem Zusammenhang oft als „prompt engineering“ bezeichnet – abhängt (s. hierzu Fischer et al., 2023).
Auch die Wahl des richtigen KI-Tools ist entscheidend für ein zufriedenstellendes Ergebnis. Zu empfehlen sind im Kontext OER insbesondere kostenfreie Open-Source-Chatbots wie HuggingChat, die mit etwas Geschick für die automatische Erstellung von hochwertigen Lerninhalten sowie von Metadaten zu deren strukturierter Beschreibung (z.B. im Sinne von Zusammenfassungen und Verschlagwortung) genutzt werden können (Fischer et al., 2023).
Beispiele für hilfreiche KI-Tools
Bei der Konzeption von OER und der Bearbeitung von Lerninhalten können sich Entwickler*innen durch KI-Tools unterstützen lassen, und zwar bei der Beantwortung komplexer Wissensfragen (z.B. Phind, perplexity.ai), beim Brainstorming zum Finden von Ideen für Bildungsmaterialien (z.B. CopyCockpit), bei der Recherche und Aufbereitung von (wissenschaftlicher) Literatur (z.B. Consensus, connected papers, Open Knowledge Maps) oder bei der Korrektur oder Übersetzung von Texten zu beliebigen Themen (z.B. DeepL Übersetzer, DeepL Write).Darüber hinaus können mit Hilfe von KI-Tools automatisch Quizfragen generiert, Zusammenfassungen erstellt oder komplexe Sachverhalte einfach erklärt werden. Dies trägt dazu bei, Lücken im Lehrmaterial zu schließen und den Lerneffekt zu steigern.
Zudem helfen KI-Tools bei der multimedialen Umsetzung von OER: Sie können Texte vertonen (z.B. murf.ai, XTTS, narakeet) und aus Textbeschreibungen und Vorlagen automatisch Bilder (z.B. Adobe Firefly, Canva, Stable Diffusion Online), Videos (z.B. fast ai movies, runway, synthesia) oder Präsentationen (z.B. WEPIK) erstellen. Bei Bedarf kann die KI sogar ganze Web Based Trainings anhand von vorgegebenen Stichworten und Materialien generieren (z.B. learningstudioai.com). Mit solchen KI-Tools haben Lernende und Lehrende die Möglichkeit, OER-Inhalte nicht nur neu generieren, sondern auch bestehendes Material erweitern und neue Varianten erstellen zu lassen, z.B. Varianten in anderer Sprache, mit anderem Schwierigkeitsgrad oder in anderen Medien. Es gibt auch Linklisten und Sammlungen zu verschiedenen KI-Anwendungen mit Such- und Filterfunktion (z.B. Advanced Innovation, Future Tools, Futurepedia, VK:KIWA).
Bei der Nutzung von KI zur Erstellung von Text- oder Bildungsmaterialien ist das Formulieren des richtigen Eingabebefehls (Prompt) entscheidend, um qualitativ hochwertige und zielgerichtete Ergebnisse zu erhalten. Dabei gibt es je nach Kontext und Zielsetzung verschiedene Prompting-Strategien, die beim Aufbau guter Prompts unterstützen, wie etwa „Wisskomm-Prompts“ (Weiss, 2024), „ROMANE“ (Eggers, 2023) oder sog. „Mega-Prompts“ (Technische Hochschule Augsburg, o.J.).
OER für einen zuverlässigen und fachspezifischen KI-Output
Die Qualität von KI-basierten Verfahren hängt maßgeblich von den Daten ab, mit denen die KI gespeist wird – sei es beim Training von KI-Modellen oder im späteren produktiven Einsatz bei der Verarbeitung von Nutzeranfragen oder der Integration interner oder externer Datenquellen.
Im Bildungsbereich gibt es viele vertrauenswürdige und durch Fachexpert*innen qualitätsgeprüfte OER-Datenbanken und -Materialien, die z.B. als Datenbasis für das KI-Training verwendet werden können. Durch die Nutzung einer hochwertigen Datenbasis können Verzerrungen und Halluzinationen bei KI-Modellen systematisch reduziert werden. Gerade in der beruflichen Bildung sind Transparenz und Faktentreue von größter Bedeutung. OER decken oft ein breites Spektrum an Themen und Perspektiven ab und bieten eine zuverlässige und valide Datenbasis, die zu vielfältigeren und repräsentativeren Ergebnissen beiträgt. Ein weiterer Vorteil ist, dass OER idR. klare Urheberrechtsinformationen und Lizenzbestimmungen enthalten. Die Nutzung von OER sorgt daher für mehr Transparenz und Verantwortungsbewusstsein beim Training von KI. Das wiederum wirkt sich gegebenenfalls positiv auf das Vertrauen in KI-Systeme aus.
Auch beim Antwortprozess können OER die KI unterstützen, beispielsweise im Rahmen von Retrieval-Augmented Generation (RAG). Als RAG bezeichnet man einen Prozess, der bei der Generierung von Antworten auf einen Prompt passende Informationen aus einer externen Datenquelle heranzieht und den Prompt vor einer Antwort der generativen KI entsprechend ergänzt (Lewis et al., 2020; Fischer et al., 2023). Auf diese Weise können aktuelle kuratierte Daten in den Antwortprozess eingespeist werden, was die Qualität der generierten Antworten deutlich erhöhen kann. OER bieten in diesem Zusammenhang eine gute Basis für einen großen und qualitativ hochwertigen Fundus an frei verfügbarem Domänenwissen, auf das im Rahmen des RAG-Prozesses zugegriffen werden kann. Gerade durch den Zugriff auf OER kann RAG eine höhere Faktentreue gewährleisten und kontextspezifischere Antworten ermöglichen als generative KI ohne RAG.
Einsatz von KI für das Wissensmanagement und als Lernlotse im Bildungsraum
Ein besonderes Potenzial entfaltet die Kombination von OER und KI im Rahmen des adaptiven Lernens bzw. bei der passgenauen Empfehlung von Lernmaterialien für Lernende (Fischer et al., 2022). Auch wenn oder gerade, weil es bereits eine Fülle an OER-Angeboten im Internet gibt, stellt das Auffinden qualitativ hochwertiger und zugleich bedarfsgerechter Angebote eine besondere Herausforderung dar. Hierbei kann moderne KI unterstützen.
Entsprechende innovative Ansätze werden derzeit im Rahmen des Innovationswettbewerbs INVITE für die berufliche Weiterbildung entwickelt. Besonders in diesem Bildungsbereich ist eine solche Personalisierung gefragt, denn in diesem Zusammenhang geht es darum, Lernenden Lernpfade zu eröffnen, die auf ihre Bildungshintergründe sowie Lernvoraussetzungen und -potenziale abgestimmt sind. Dies soll dazu beitragen, sie für definierte berufliche Anforderungen zu befähigen. Im Projekt „KI-gestützte Personalisierung in der berufsbezogenen Weiterbildung“ (KIPerWeb) erprobten die Beteiligten auch Verfahren dazu bei diversen Bildungsanbietern (Fischer et al., 2023).
Entscheidungen darüber, welche Lernmaterialien einer konkreten Person jeweils zu empfehlen sind, können sich dabei aus Daten vergleichbarer Lernender ergeben. Über statistische Verfahren kann zum Beispiel abgeleitet werden, welche Materialien in vergleichbaren Situationen häufig aufgerufen wurden und einen vielversprechenden Kursverlauf erwarten lassen. Entscheidungen können aber auch inhaltsbasiert getroffen werden, indem Lernenden diejenigen Materialien empfohlen werden, die semantisch zu ihrer bisherigen Lernhistorie, etwaigen Wissenslücken oder Interessen-Angaben passen. Ebenfalls möglich ist die Verknüpfung beider Ansätze des Entscheidungsmanagements, wie sie von Fischer et al. (2024) am Beispiel eines KI-basierten Prototypen des Bildungswerks der Niedersächsischen Wirtschaft im Rahmen des KIPerWeb-Projekts dargestellt wurde.
KI-Tools sind ein Mittel, um aus dem verfügbaren OER-Angebot passende Lernangebote zusammenzustellen und dieses fortlaufend und passgenau zu empfehlen. KI-Assistenten avancieren damit zu persönlichen Lernbegleitern.
Diskussion und Fazit: KI-Kompetenz für OER und OER für KI-Kompetenz
Die Kombinationsmöglichkeiten und Synergieeffekte von KI und OER sind vielfältig. Für eine professionelle Umsetzung und eine sinnvolle Nutzung sind allerdings sowohl aufseiten der Entwickler*innen als auch der Nutzenden eine Reihe von Kompetenzen notwendig: Dazu gehört auf Seiten der Entwickler*innen ein Verständnis für die grundlegende Arbeitsweise moderner KI-Verfahren sowie Kenntnisse zum aktuellen Stand der Kunst und den ethischen und rechtlichen Implikationen. Ebenso wichtig sind Daten- und Medienkompetenz, kritisches Denken, die Reflexion von Fragen zu KI-Ethik und KI-Pädagogik (Lee, 2023).
Auch für Lernende kann die Nutzung von KI beim Lernen mit OER neue Herausforderungen mit sich bringen – insb. beim Umgang mit KI-Assistenzsystemen und -Lernlotsen aber auch für die kritische Einordnung von KI-generierten Materialien und Empfehlungen. Gefragt sind hier eher Grundkompetenzen wie z.B. Digital bzw. AI Literacy – die ihrerseits vielfältige Aspekte umfasst, wie sie Wienrich et al. (2022, S.11) als AI Mental State, AI Verständnis, AI Verhaltensintention, AI Verhalten und AI Reflexion bezeichnen. Dazu zählen beispielsweise Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Werkzeugen und Plattformen, aber auch ein grundlegendes Verständnis algorithmischer Prozesse und ihrer Implikationen, um selbstbestimmt Angaben zu machen, die Einfluss auf das ihnen präsentierte Lernangebot haben. Zudem ist es wichtig, die eigene Lernbiographie und eigenen Lernziele zu reflektieren, um informierte Entscheidungen für (und auch gegen) dargebotene und ggf. empfohlene Lerninhalte und -formate sowie deren Zusammensetzung zur Gesamtlernerfahrung treffen zu können.
Auch die Konzeption und Umsetzung von Benutzeroberflächen, personalisierten Lernpfaden und die nutzerfreundliche Gestaltung der Angebote erfordern spezifische Expertise, insbesondere im didaktischen Bereich. Damit Bildungsanbieter entsprechende Entwicklungen im Bereich der beruflichen Weiterbildung voranbringen können, hat der Innovationswettbewerb INVITE einen ersten Grundstein gelegt. INVITE-Projekt wie KIPerWeb stellen auf den OER-Bereich transferierbare Prototypen bereit (Fischer et al., 2023; Pabst et al., 2023).
Literaturverzeichnis
Eggers, J. (2023). Besser prompten: Gib der KI gut strukturierte ROMANE! Dann gibt sie dir auch die richtigen Antworten. https://www.janeggers.tech/eeblog/2023/besser-prompten-gib-der-ki-gut-strukturierte-romane-dann-gibt-sie-dir-auch-die-richtigen-antworten/
Fischer, A., Jöchner, A., Pabst, C., Lorenz, S., & Schley, T. (2023). KI-basierte Personalisierung berufsbezogener Weiterbildung. Ein Praxisleitfaden für Bildungsanbieter. wbv. https://dx.doi.org/10.3278/9783763976447
Fischer, A., Lorenz, S., Pabst, C. (2024). Empfehlungen zur beruflichen Weiterbildung. Entwicklung eines KI-basierten Entscheidungsmanagements. Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 53(1), 32-34. https://www.bwp-zeitschrift.de/dienst/publikationen/de/download/19425
Fischer, A., Pabst, C., Jöchner, A., Lorenz, S., & Schley, T. (2022). Möglichkeiten, Bedarfe und Wünsche bezüglich der Personalisierung berufsbezogener Weiterbildung. bwp@, 43, 1-24. https://www.bwpat.de/ausgabe/43/fischer-etal
Lee, S. (2023). AI Toolkit für Educators. EIT InnoEnergy Master School Teachers Conference 2023. https://paradoxlearning.com/wp-content/uploads/2023/09/AI-Toolkit-for-Educators_v3.pdf
Lewis, P., Perez, E., Piktus, A., Petroni, F., Karpukhin, V., Goyal, N., Kütler, H., Lewis, M, Yih, W., Rocktäschel, T., Riedel, S., & Kiesla, D. (2020). Retrieval-augmented generation for knowledge-intensive nlp tasks. Advances in Neural Information Processing Systems, 33, 9459-9474. https://proceedings.neurips.cc/paper/2020/hash/6b493230205f780e1bc26945df7481e5-Abstract.html
Pabst, C., Jöchner, A., Fischer, A., Lorenz, S., & Schley, T. (2023). Modularisierung berufsbezogener Weiterbildung. Ein Praxisleitfaden für Bildungsanbieter. wbv. https://dx.doi.org/10.3278/9783763976461
Technische Hochschule Augsburg (o.J.). ChatGPT-Promptkompetenz. https://www.tha.de/ChatGPT-Promptkompetenz.html
Weiss, J. (2024). Wisskomm-Prompts. LinkedIn. https://www.linkedin.com/posts/joergweiss_wisskomm-activity-7161441592598339585-hM6v/?utm_source=share&utm_medium=member_desktop
Wienrich, C., Carolus, A., Markus, A., & Augustin, Y. (2022). AI Literacy: Kompetenzdimensionen und Einflussfaktoren im Kontext von Arbeit. https://www.denkfabrik-bmas.de/fileadmin/Downloads/Publikationen/AI_Literacy_Kompetenzdimensionen_und_Einflussfaktoren_im_Kontext_von_Arbeit.pdf
Ein Kommentar zu “OER und KI – eine vielversprechende Verbindung!”