Die UNESCO-Empfehlung zu Offenen Bildungsressourcen (OER) von 2019 betont die Notwendigkeit, dass Nationen systematisch OER-Aktivitäten unterstützen und monitoren. Österreich hat in diesem Bereich durch die Initiative “Open Education Austria Advanced” bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere durch die Entwicklung eines Zertifizierungsprogramms für OER im Hochschulsektor.
Ein Beitrag von Sandra Schön
Entwicklung und Implementierung der OER-Zertifizierung
Unter der Leitung der Universität Wien, der Universität Graz, der Universität Innsbruck und der Technischen Universität Graz wurde seit 2020 im Projekt „Open Education Austria Advanced“ eine umfassende Infrastruktur für OER (weiter-)entwickelt. Zu den wichtigsten Errungenschaften gehören die Implementierung von OER-Repositorien an den Partneruniversitäten und des oerhub.at, wo zentral alle Metadaten der OER durchsucht werden können (Ebner et al, 2023).
In einem Arbeitspaket unter der Leitung der TU Graz und mit dem Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) wurden beim Forum Neue Medien in der Lehre Austria (fnma) die OER-Zertifizierung eingeführt (Schön et al., 2023): Die OER-Zertifizierung der Hochschulen erfolgt durch einen unabhängigen internationalen Beirat, der spezifisches Knowhow zu allen relevanten Themen der OER-Zertifizierung vereint. Dem Beirat gehören seit 2022 Sarah-Isabella Behrens (Wikimedia Deutschland e. V., Leitung “Bündnis Freie Bildung”), Noreen Krause (TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften, Projektleitung OER Portal Nds. twillo), Rudolf Mumenthaler (Direktor Universitätsbibliothek Zürich), Jöran Muuß-Merholz (OER-Allrounder, Jöran & Konsorten) sowie Alexander Schmölz (öibf, Wien) an.
Zertifizierungskriterien für Hochschulen
Das Zertifikat “Certified OER Higher Education Institution” erfordert von österreichischen Hochschulen den Nachweis von:
- Vorhandensein einer OER-Strategie und Angebot einer Weiterbildung zu OER: Die Hochschule verfügt über ein OER-Qualifizierungsangebot und bekennt sich öffentlich und strategisch zu offenen Bildungsressourcen (OER).
- Verfügbarkeit eines OER-Repositoriums: Die Hochschule bietet ein eigenes OER-Repositorium oder eine geeignete Verbundlösung in Kooperation mit anderen Hochschulen an, wo OER auffindbar veröffentlicht werden können.
- Eine Mindestzahl von Mitarbeiter*innen mit dem fnma Zertifikat ‚OER practitioner | OER-Praktiker:in‘: Die Hochschule verfügt über eine definierte Anzahl von OER-zertifizierten Mitarbeiter*innen. Die Anzahl der notwendigen Mitarbeiter*innen mit dem Zertifikat (5 bis 40) richtet sich nach der Anzahl der Studierenden.
Die Nachweise für jedes der drei Kriterien können einzeln erbracht und geprüft werden. Diese Kriterien wurden bereits in einem Whitepaper vor dem Projektstart in der Arbeitsgruppe OER bei fnma entwickelt (Ebner et al., 2017) und vor der Einführung von allen relevanten Stakeholdern als hilfreich sowie auch gut und transparent zu prüfen bewertet.
Pilotphase und erste Zertifikate für Hochschulen
Ab 2022 wurden in einer ersten Pilotphase die ersten Anträge zur Prüfung der drei Kriterien gestellt und nach Prüfung durch den Beirat ggf. entsprechende positive Bescheinigungen vergeben. Die Universität Graz und die Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik sind die ersten Hochschulen, die 2023 das vollständige Zertifikat erhalten haben, weil sie alle drei Kriterien nachweisen konnten (Schön et al., 2023). Seit September 2023 steht die Teilnahme allen Hochschulen offen – also öffentlichen wie privaten Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen.
Die Zertifizierung von Personen
Alle österreichischen Hochschulen können Weiterbildungskonzepte für Vergabe eines OER-Personenzertifikats akkreditieren lassen. Dazu müssen sie einen Antrag auf Prüfung ihres Konzepts durch einen unabhängigen Beirat stellen. Danach steht allen erfolgreichen Teilnehmer*innen der entsprechenden Weiterbildungen der Hochschule die Möglichkeit offen, das Zertifikat „OER Practitioner | OER-Praktiker:in“ zu erhalten. Damit können Einzelpersonen und auch die Hochschulen als Arbeitgeber zeigen, dass sie über OER-Expertise verfügen.
Zur Akkreditierung von OER-Weiterbildungskonzepten
Für die Zertifizierung von Personen ist vorgesehen, dass „eine Person eine Anzahl von drei OER-Objekten als Autorin bzw. Autor nachweislich erstellt und publiziert hat und die/der Lehrende die Absolvierung einer OER-Weiterbildungsmaßnahme nachweist” (vgl. OER-Zertifikat.at). Die Weiterbildung muss dabei einen Umfang von mindestens einem EC umfassen (etwa 25 Stunden). Dies gilt inklusive der Erstellung von drei OER (vgl. Ebner et al., 2017).
Ergänzend dazu wurde im Projekt OEAA mit dem öibf ein Kompetenzprofil für Absolvent*innen der Weiterbildung formuliert (Schön et al., 2023):
“Der:Die Zertifikatsträger:in kann selbstständig, eigenverantwortlich und unter Berücksichtigung seines:ihres professionellen disziplinären und didaktischen Fachwissens offen lizenzierte Bildungsressourcen (OER) finden, erstellen, überarbeiten, neu zusammenstellen und veröffentlichen.
Die Lernergebnisse auf Kurs- bzw. Modulebene sind dabei:
- Ich kann unterschiedliche offene Lizenzen und ihre Anforderungen und Unterschiede benennen und einsetzen.
- Ich kann offen lizenzierte Bildungsressourcen (OER) finden.
- Ich kann OER erstellen, überarbeiten und neu zusammenstellen.
- Ich kann OER veröffentlichen und allen zur Verfügung stellen.”
Die Weiterbildungen bzw. das Weiterbildungskonzept müssen diese Anforderungen erfüllen, wenn die Teilnehmer*innen das fnma-Zertifikat “OER Practitioner | OER-Praktiker:in” erhalten sollen.
Bislang gibt es 11 akkreditierte Weiterbildungskonzepte. Bis Juni 2024 konnten nach erfolgreicher Teilnahme an den entsprechenden Weiterbildungen bereits 172 Personen das fnma Zertifikat „OER Practitioner | OER-Praktiker:in“ erhalten, die meisten davon Angehörige von 23 verschiedenen österreichischen Hochschulen.
Fortführung der OER-Zertifizierung
Die OER-Zertifizierung wird durch die Förderung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung bis Ende 2025 fortgeführt und steht für österreichische Hochschulen weiterhin kostenfrei zur Verfügung.
Bedeutung der OER-Zertifizierung
Die OER-Zertifizierung fördert die Sichtbarkeit und Anerkennung von OER-Kompetenzen und Aktivitäten an österreichischen Hochschulen. Sie unterstützt die nachhaltige Einführung von OER und stärkt die Kompetenzentwicklung bei Mitarbeiter*innen und Studierenden. Die OER-Zertifizierung ist dabei “schlank” und transparent gestaltet und bedeutet für die aktiven Hochschulen – im Vergleich mit anderen Hochschulzertifikaten – großen Aufwand, wenn es eine bewusste Entscheidung für die Förderung von OER-Aktivitäten gibt. Häufiger wurde zurückgemeldet, dass die klaren Kriterien dabei helfen, die Einführung gut zu gestalten, z. B. im Hinblick auf OER-Strategien oder OER-Repositorien.
Mittelfristig ist mit der OER-Zertifizierung auch gelungen, in Österreich ein Instrument einzuführen, dass nicht nur der von der UNESCO geforderten Förderung von OER-Aktivitäten, sondern auch dem Monitoring der OER-Entwicklung dient. Wurde bislang z.B. durch die Häufigkeit der Nennung des Begriffs “Open educational resources” in den Leistungsvereinbarungen der Universitäten versucht, einen Überblick über die Verbreitung und Bedeutung des Themas zu erhalten (Edelsbrunner et al., 2021, Neumann et al., 2022, Edelsbrunner et al., 2022). So ist nun die Anzahl der Bescheinigungen und Zertifikate der OER-Zertifizierung eine sehr gute, vermutlich weltweit einzigartig Möglichkeit des Monitorings der OER-Entwicklung an österreichischen Hochschulen (vgl. Schön et al., 2021).
Offenheit der OER-Zertifizierung
Bei der Entwicklung der OER-Zertifizierung wurde auch systematisch geklärt, wie eine Zertifizierung im Kontext von Offenheit gestaltet sein muss, dass die Ansprüche an Offenheit umgesetzt werden (Schön et al., 2021). Für die OER-Zertifizierung in Österreich bedeutet dies,
- dass das neue OER-Icon unter CC0, alle weiteren Unterlagen auf der Website und Publikationen unter offenen Lizenzen zur Verfügung gestellt werden;
- dass es im Hinblick auf Kriterien und Prozesse größtmögliche Transparenz gibt (z.B. öffentlich zugängliche OER-Strategien vorliegen müssen);
- dass auch beim Personenzertifikat möglichst viele Hochschulen sich aktiv einbringen können und die Weiterbildung nicht zentral bei nur einer Einrichtung liegt (im Falle der Hochschulen gibt es hier klare Qualitätsstandards sowie auch Richtlinien für die Identitätsnachweise);
- und dass Weiterbildungskonzepte flexibel gestaltet werden können – so gibt es Konzepte, die Online-Anteile haben, solche die von zwei Hochschulen gemeinsam angeboten werden und solche bei denen die OER-Weiterbildung gar in einen viersemestrigen Hochschullehrgang integriert ist.
Weitere Informationen zur OER-Zertifizierung finden sich auf der Website www.oer-zertifikat.at.
Referenzen
- Zur Website zur OER-Zertifizierung: https://OER-Zertifikat.at
- Zum Projektvorhaben der OER-Zertifizierung: https://www.fnma.at/projekte/eigene-projekte/aufbau-der-nationalen-oer-zertifizierungsstelle
- OER-Arbeitsgruppe der fnma: https://www.fnma.at/arbeitsgruppen/open-educational-resources
- Projekt „Open Education Austria Advanced”: https://www.openeducation.at/
- Ebner, M., Ganguly, R., Gröblinger, O., Hackl, C., Handle-Pfeiffer, D., Kopp, M., Neuböck, K., Schmölz, A., Schön, S., & Zwiauer, C. (2023). Handlungsfelder und attraktive Lösungen für Open Educational Resources im österreichischen Hochschulraum: Ergebnisse aus dem Projekt Open Education Austria Advanced. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 18, 181-198. https://doi.org/10.3217/zfhe-SH-HL/10
- Ebner, M., Kopp, M., Hafner, R., Budroni, P., Buschbeck, V., Enkhbayar, A., Ferus, A., Freisleben-Teutscher, C. F., Gröblinger, O., Matt, I., Ofner, S., Schmitt, F., Schön, S., Seissl, M., Seitz, P., Skokan, E., Vogt, E., Waller, D. & Zwiauer, C. (2017). Konzept OER-Zertifizierung an österreichischen Hochschulen. Forum Neue Medien in der Lehre Austria. URL: https://fnma.at/content/download/991/3560
- Edelsbrunner, S., Ebner, M., Schön, S. (2021). Strategien zu offenen Bildungsressourcen an österreichischen öffentlichen UniversitätenEine Beschreibung von nationalen Strategien, Whitepapers und Projekten sowie eine Analyse der aktuellen Leistungsvereinbarungen. In: H.W. Wollersheim, M. Karapanos, N. Pengel (Hrsg.), Bildung in der digitalen Transformation, Tagungsband der GMW 2021, Waxmann, S. 31-36.
- Edelsbrunner, S,; Ebner, M. & Schön, S.(2022). Strategien zu offenen Bildungsressourcen an österreichischen öffentlichen Universitäten. Eine Analyse der Leistungsvereinbarungen 2022–2024. In: B. Standl (Hrsg.), Digitale Lehre nachhaltig gestalten, Medien in der Wissenschaft, Band 80, Münster: Waxmann, S. 209-214. DOI: https://doi.org/10.31244/9783830996330
- Neumann, J., Schön, S., Bedenlier, S., Ebner, M., Edelsbrunner, S., Krüger, N., Lüthi-Esposito, G., Marin, V. I., Orr, D., Peters, L. N., Reimer, R. T., & Zawacki-Richter, O. (2022). Approaches to Monitor and Evaluate OER Policies in Higher Education – Tracing Developments in Germany, Austria, and Switzerland. Asian Journal of Distance Education. http://asianjde.com/ojs/index.php/AsianJDE/article/view/619
- Schön, S., Ebner, M., Berger, E., Brandhofer, G., Gröblinger, O., Jadin, T., Kopp, M., Steinbacher, H-P., & Zwiauer, C. (2021). OER Certification of Individuals and Organisations in Higher Education: Implementations Worldwide. Open Praxis, 13(3), pp. 264–278. DOI: https://doi.org/10.5944/openpraxis.13.3.265
- Schön, S., Ebner, M., Berger, E., Brandhofer, G., Edelsbrunner, S.; Gröblinger, O., Hackl, C., Jadin, T., Kopp, M., Neuböck, K., Proinger, J., Schmölz, A., & Steinbacher, H.-P (2023). Development of an Austrian OER Certification for Higher Education Institutions and Their Employees. In: Otto, D., Scharnberg, G., Kerres, M., Zawacki-Richter, O. (eds) Distributed Learning Ecosystems . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38703-7_9
- UNESCO (2019). Recommendation on Open Educational Resources (OER). URL: https://www.unesco.org/en/legal-affairs/recommendation-open-educational-resources-oer