Interview zum 2nd OER Policy Forum in Warschau
Seit dem ersten OER Policy Forum 2016 hat das Thema OER besonders in Deutschland deutlich an Aufmerksamkeit gewonnen. Am 01. und 02. Juni 2017 fand nun das zweite OER Policy Forum in Warschau statt. Matthias Andrasch hat für das Bündnis freie Bildung (BfB) teilgenommen und schildert seine Eindrücke im Interview mit OERinfo.
OERinfo: Matthias Andrasch, Sie haben das OER Policy Forum in Warschau besucht – worum ging es da?
Matthias Andrasch: Ich bin erst seit kurzem im Bündnis Freie Bildung aktiv. Als mir das tolle Angebot unterbreitet wurde, für das Bündnis nach Warschau zu reisen, bin ich erstmal selber über den „Policy“-Begriff gestolpert: Man hat den Begriff eigentlich schon oft gehört, aber was er ganz konkret bedeutet und wie Policies mit OER zusammenhängen, war mir persönlich im Vorfeld auch nicht ganz klar. Wenn man sich eher praktisch mit OER beschäftigt, dann hat man diese Ebene eventuell nicht ganz auf dem Schirm und denkt zuerst möglicherweise nur an Gesetze – dankenswerterweise finden sich aber im Whitepaper OER Hochschule Erklärungen und die Technologiestiftung Berlin hat eine Talkrunde „Best Practice OER – Policy Making“ aufgezeichnet. Policies sind also mehr als nur Gesetze, es kann sich auch um institutionellen Verfahrensvorschriften oder Förderrichtlinien handeln. In Warschau drehte sich nun vorwiegend alles um den länderübergreifenden Austausch zu Policies, mit denen man offene Lehr- und Lernmaterialien stärken, begünstigen oder ermöglichen kann.
Falls sich jemand fragt,was #OER Policies genau sind – im OER-Whitepaper Hochschule wird man fündig (S.38) #oerforum https://t.co/ZKznxAlc31 pic.twitter.com/vs07gJpinc
— BündnisFreieBildung (@B_Freie_Bildung) June 1, 2017
OERinfo: Was für Teilnehmende sind da zusammen gekommen?
Matthias Andrasch: Im Policy Forum war ein bunter Mix von Teilnehmer*innen anwesend. So konnte ich mich mit Kolleg*innen aus europäischen Ländern austauschen, welche in ihrem Land ebenfalls Bündnisse für OER initiiert haben, z.B. das OER-Bündnis Mazedonien. Ebenso waren einige wenige Regierungsmitarbeiter*innen vor Ort. Auch Christer Gundersen, der bei der Norwegian Digital Learning Arena (NDLA) arbeitet und dort wegweisende Arbeit für offene Bildungsangebote und Werkzeuge wie h5p.org leistet war dabei. Im Bereich Policy besonders spannend ist die Arbeit von Advocacy-Akteuren, die für freie Bildung, Open Education oder OER eintreten und z.B. mit politischen Vertreter*innen in den Dialog treten. Aus den Vereinigten Staaten gab Nicole Allen einen Advocacy-Workshop während des Forums. Weiterhin nahmen Akteure aus den verschiedenen Organisationen wie Creative Commons (z.B. @tenobre), Wikimedia (für Schweden z.B. @SaraMrtsell) oder Communia teil. Aus Deutschland nahmen Dr. Michael Kaden (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg), welcher auf der Konferenz den aktuellen Stand von OER in Deutschland vorstellte, sowie Jan Neumann (OER Worldmap / Hochschulbibliothekszentrum NRW) teil.
OERinfo: Welche Themen wurden diskutiert?
Matthias Andrasch: Bei einem Treffen von Akteuren aus verschiedenen Ländern ist natürlich der aktuelle Stand von OER sowie der Status von OER-Policy-Vorhaben in den einzelnen Ländern von Interesse. Hierfür gab es jeweils kurze Inputs aus Spanien, Slowenien, Estland, Rumänien, Polen, Deutschland, USA, Italien, Frankreich, Schottland, Slowakei, UK, Norwegen sowie Weißrussland. Neben dem aktuellen Stand waren hierbei auch Erfahrungen und aktuelle sowie mögliche zukünftige Strategien ein Thema. Dabei ging es um auch um handfeste Fragen wie „Wie überzeuge ich den Bildungsminister bzw. das Bildungsministerium konkrete Schritte zur OER-Förderung zu unternehmen und bspw. eine staatliche Plattform für Lernmaterial bereitzustellen?“ – eine Frage, die länderspezifische Strategien erfordert. Claudia Iordache vom Bündnis in Rumänien berichtete beispielsweise, dass die Regierung sehr oft wechselt, weshalb eine langfristige Zusammenarbeit mit einem Bildungsminister oder einer Bildungsministerin nicht möglich ist. In Deutschland herrscht derzeit ja eine gute Situation für OER, dies ist aber keineswegs ebenfalls automatisch der Fall in anderen Ländern.
Javiera Atenas und Fabio Nascimbeni werden im Herbst eine Studie veröffentlichen, die den Stand der OER-Policies in Europa zusammenfasst. Beim Policy Forum stellten sie erste Ergebnisse ihrer Befragungen vor, u.a. dass der Aspekt der Kollaborationsmöglichkeiten von OER bei einigen Entscheider*innen im Bildungsbereich deutlich höher gewichtet wurde als der Aspekt des Zugangs. Mit Blick auf die Capetown Declaration, welche nun mehr als 10 Jahre zurückliegt, wurde ebenfalls über den zweiten OER World Congress diskutiert, welcher im September 2017 in Ljubljana stattfindet.
OERinfo: Gab es Verabredungen, Pläne, Beschlüsse?
Matthias Andrasch: Eine gemeinsame Zielperspektive wurde im Hinblick auf die nächste wichtige Veranstaltung, den OER World Congress, grundlegend geschaffen. Einer der Organisatoren, Davor Orlic, betonte noch einmal, dass der Kongress ein Boxenstopp auf dem Weg zu einer „UN Recommendation“ sei. In der Abschlussrunde stellte Jan Neumann die offene Frage, inwiefern ein solcher temporärer Konferenzaustausch weiterhin nachhaltig verankert werden könnte, da abermals wieder viele Ideen, Chancen und Herausforderungen andiskutiert wurden, die auch in länderübergreifenden Kooperationen angegangen werden könnten.
OERinfo: Was ist Ihr persönliches Fazit als Neueinsteiger beim Bündnis Freie Bildung und im Bereich der Policy-Arbeit?
Das Bündnis freie Bildung ist ein Aktionsbündnis verschiedener Organisationen und Initiativen. Es setzt sich für die Verankerung von freien Lehr-Lernmaterialien in der Bildungslandschaft in Deutschland ein. Matthias Andrasch unterstützt ehrenamtlich das Bündnis. Er bloggt unter matthias-andrasch.de und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt OERlabs an der Universität zu Köln.
Matthias Andrasch: Das Policy Forum zeigte aus meiner Sicht den Bedarf an sowie den Mehrwert von länderübergreifendem Austausch im Kontext von OER. Ich war dieses Jahr zum ersten Mal auf einer internationalen Konferenz zu OER, der OER17 in London und nun auf dem OER Policy Forum in Warschau. Als Akteur, der praktisch mit OER in Deutschland zu tun hat, kann es ab und zu mal vorkommen, dass man ein bisschen ermüdet oder frustriert ist, weil starre Verwaltungsstrukturen oder andere Hürden schwer und nur mit enormen Kraft- und Zeitaufwand zu bewältigen sind. Hier bietet es sich besonders an, den Blick über die Grenzen zu wagen, sei es physisch vor Ort oder durch die vielen Ressourcen im Netz – die Erfahrung und das Gefühl, dass sich weltweit sehr viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und mit vielfältigen Hintergründen für OER einsetzen, kann wieder neue Energie für Herausforderungen im deutschsprachigen Raum bringen. Auch mit Blick auf die Europäische Union sollte man Initiativen wie rightcopyright.eu im Auge behalten, da hier versucht wird die „dicken Bretter“ zu bohren für Urheberrechtsgesetze im Bildungsbereich. Gerade hier ist meiner Einschätzung nach die Zusammenarbeit von verschiedenen europäischen Akteuren enorm wichtig.
Des Weiteren ziehe ich für mich auch das Fazit, möglichst oft relevante Erfahrungen oder Strategien auch in Form von englisch- bzw. mehrsprachigen Blogbeiträgen, Videos oder anderen Formaten zu veröffentlichen, sodass nicht nur deutschsprachige Personen hiervon profitieren können – die Organisation Falanster, die in Weißrussland versucht freies Wissen zu fördern und Grundlagen für OER zu schaffen, teilt beispielsweise ihre Erfahrungen ganz selbstverständlich auch in englischer Sprache auf ihrer Webseite.
Bei der Konferenz wurde übrigens der Hashtag #OERforum benutzt.
Das Interview führte Sonja Borski für OERinfo.
Hintergrund
Das OER Policy Forum wird vom Centrum Cyfrowe organisiert und von der William and Flora Hewlett Foundation und dem Information Program of the Open Society Foundations unterstützt.
Das OER Policy Forum fand 2016 zum ersten Mal statt. Teilgenommen haben Aktivist*innen, Vertreter*innen von Regierungen und Verwaltungen sowie Expert*innen aus dem Bildungssektor. Diskutiert wurde unter anderem das Strategiepapier Foundations for OER Strategy Development.
Ein Kommentar zu “Länderübergreifend Strategien für die Förderung und Verbreitung von OER entwickeln”