Der Gold-Standard für das vielleicht unterschätzteste Format: Präsentationsfolien als OER

Der Gold-Standard für Präsentationsfolien als OER, Grafik: Jula Henke, Agentur J&K – Jöran und Konsorten für OERinfo, Informationsstelle OER, CC BY 4.0.

Es ist gängige Praxis, Vortragsfolien weiterzugeben, zu remixen und sie neu zu veröffentlichen. Durch welche Maßnahmen es möglich ist, Präsentationsfolien unter dem bestmöglichen, dem Gold-Standard für OER, zu erstellen und zu veröffentlichen, das beschreiben Lambert Heller, Nele Hirsch und Jöran Muuß-Merholz.

Einleitung

Präsentationsfolien wie Powerpoint, Keynote & Co. sind vielleicht das unterschätzteste Medienformat, wenn es um Open Educational Resources (OER) geht. Hier liegt großes Potential für Offenheit und Nachnutzung. Denn bei Folien ist es gang und gäbe, sie ständig neu zusammenzustellen (also zu remixen) und sie an andere weiterzugeben oder zu veröffentlichen (also zu teilen). Durch freie Lizenzen können diese Praktiken deutlich erleichtert und verbreitert werden.

Gleichzeitig sind Folien ein Format, das sich für den Umgang mit freien Lizenzen relativ klar strukturieren lässt. Denn sie bestehen in der Regel aus unterschiedlichen Bausteinen, die miteinander kombiniert werden, und für die man sich aus unterschiedlichen Quellen bedienen kann. Damit hat man zwar bisweilen viele, aber in der Regel klar unterscheidbare Bausteine.

Das Format Präsentationsfolien als OER

Besonderheiten bei Folien

Eine wesentliche Eigenschaft von Foliensätzen ist die Modularität. Folien lassen sich auf drei Ebenen als Bausteine sehen, die sich miteinander kombinieren lassen:

  1. ein Foliensatz, also eine Präsentation, von denen man mehrere kombinieren kann, z.B. für eine Vorlesungsreihe
  2. einzelne Folien, die sich als Bausteine zu einem Foliensatz kombinieren lassen
  3. einzelne Elemente, die sich auf einer Folie kombinieren lassen, zum Beispiel Textblöcke, Grafiken, Fotos, Tabellen oder Videos

Das OER-typische Remixen liegt im Wesen der Arbeit mit Folien. Es ist üblich und ganz einfach, für einen neuen Foliensatz verschiedenen Folien zusammenzuziehen und für eine neue Folie verschiedene Elemente zusammenzusetzen. Diese hohe Kombinierbarkeit bedeutet umgekehrt auch eine hohe Trennbarkeit. Einzelne Folien oder einzelne Elemente lassen sich nach Belieben wieder entfernen oder ersetzen.

Dabei ist es gängige Praxis, dass man nicht nur auf Bausteine zugreift, die man selbst erstellt hat, sondern auch auf Inhalte Dritter. Beispielsweise übernimmt eine Dozentin die Folien einer Kollegin als Ausgangsmaterial und gestaltet daraus ihren eigenen Foliensatz. Oder sie nutzt zur Illustration ein Foto, das sie im Netz gefunden hat. Oder sie integriert eine Abbildung oder Tabelle aus einem Buch. Oder sie zeigt im Rahmen der Folien ein kurzes Video.

Will man allen urheberrechtlichen Vorgaben gerecht werden, sind solche Übernahmen und Veränderungen aufwändig, kompliziert, in einer Grauzone oder schlicht nicht gestattet. (Man kann vermuten, dass ein Großteil der Nutzung im Graubereich eher zur dunkelgrauen Seite tendiert.) Hier kommt die Stärke von OER zum Zuge – denn frei lizenzierte Inhalte sind ja genau dafür gemacht, dass man urheberrechtlich einfacher und sicherer arbeiten kann.

Das ideale OER für mein Format

Folien erstellen

Folien sollten wie alle OER mit Programmen und Diensten erstellt werden, deren Einsatz keine zusätzlichen Hürden darstellt. Üblicherweise werden dafür Freie Software und offene Dateiformate als Kriterien herangezogen.

Illustration Präsentation
Business Presentation, sketchvalley, CC0.

Bei Folien zeigt sich eine Schwäche dieser Definitionen. Denn proprietäre Software (zum Beispiel PowerPoint) und semi-offene Dateiformate (zum Beispiel pptx-Dateien) sind hier so stark etabliert, dass alternative Software (z.B. LibreOffice oder SlideWiki) und offene Formate (z.B. odp-Dateien) für viele Nutzer*innen de facto eine höhere Hürde darstellen. Vor diesem Hintergrund gibt es bei der Erstellung nicht das eine, ideale Tool zur Erstellung von Folien.

Folien bereitstellen

Bei der Bereitstellung von Folien können zwei Ziele konkurrieren: Komfort in der Darstellung einerseits und die Möglichkeiten zur weiteren Bearbeitung andererseits. Das erste Ziel führt dazu, dass Folien gerne im pdf-Format oder in eingebetteten Viewern bereitgestellt werden – damit können Folien komfortabel betrachtet, aber nicht gut nachgenutzt werden.

Das Problem lässt sich einfach lösen: Man kann Folien in mindestens zwei Fassungen bereitstellen – zum einen optimiert für die Darstellung (z.B. als pdf), zum anderen bereit zur weiteren Bearbeitung (z.B. als pptx).

Folien barrierefrei gestalten

Um eine inklusive Nutzung, beispielsweise für Menschen mit einer Sehbehinderung zu ermöglich, sollten Folien nach den Grundsätzen der Barrierefreiheit gestaltet werden. Dazu gehören beispielsweise die Entscheidung für eine große, kontrastreiche Schrift, keine animierten Übergänge, keine Bedeutung durch Farbgebung, das Festlegen einer Lesereihenfolge und das konsequente Verwenden von Beschriftungen bzw. Alternativtexten für Bilder, Grafiken und Diagramme. Wenn Folien weitere Medienarten enthalten, sind auch deren spezifische Eigenschaften betroffen, man denke zum Beispiel an Videos mit alternativen Audiospuren.

Für die praktische Umsetzung empfiehlt sich eine Webrecherche, bei der man die Suchbegriffe „barrierefrei gestalten“ mit dem Namen der verwendeten Software kombiniert, also zum Beispiel „Powerpoint barrierefrei gestalten“ oder „Google Slides barrierefrei gestalten“.

Folien offen und maschinenlesbar lizenzieren

Für die Auswahl der Lizenz empfiehlt sich bei Folien noch mehr als ohnehin schon eine Lizenz mit möglichst wenigen Auflagen, also CC BY oder CC0. Bereits die beliebte Lizenz CC BY-SA kann für Unklarheiten und Schwierigkeiten in der Nachnutzung sorgen, beispielsweise wenn man ein Foto als Hintergrundgrafik nutzt und entsprechend eine Vermischung von Lizenzen erfolgen kann.

Um Maschinenlesbarkeit der Lizenz zu gewährleisten, ist die Art und Weise der Veröffentlichung wichtig, auf die weiter unten eingegangen wird.

Die No-Go’s bei meinem Format

Die besten Möglichkeiten, um die Nutzung von OER als Folien zu erschweren, sind:

  • Man veröffentlicht die Folien nur (!) im PDF-Format.
  • Es gibt zwar Lizenzhinweise, aber diese sind nicht eindeutig konkreten Inhalten zuzuordnen. Beispielsweise wird auf der ersten oder letzten Folie einfach eine Lizenz genannt, aber es ist nicht klar, worauf genau diese sich bezieht.
  • Man nutzt eine Lizenz, deren Auflagen die Bearbeitung unmöglich machen (z.B. CC BY-ND) oder hohe Hürden setzen (z.B. CC BY-SA).

Lizenzierung

Für die Lizenzierung von Folien kann unterschieden werden in drei verschiedene Fälle:

  1. A. einzelne Elemente wie Texte, Abbildungen, Videos etc.
  2. B. der Foliensatz als Gesamtwerk
  3. C. Zitate

zu A.) Für jedes einzelne Element sollte ein Lizenzhinweis vorhanden sein. Das kann zum Beispiel in einem schmalen Streifen am unteren Rand der Folien geschehen. Eine gesammelte Darstellung auf einer gesonderten Folien z.B. am Ende des Foliensatzes ist möglich, aber nicht empfehlenswert, da so beim Neuzusammenstellen von Folien und Elemente Lizenzhinweise leicht „verloren gehen“. Für die Formulierung empfiehlt sich eine Orientierung an der TULLU-Regel.

zu B.) Auch wenn eine Foliensatz sich aus den einzelnen Elementen zusammensetzt, so ist er doch mehr als die Summe seiner Teile und somit eine eigenständige schöpferische Leistung. Deswegen muss auch für das Gesamtwerk eine Lizenz vergeben werden. Häufig fallen die Zusammenstellung von Inhalten und die Texte auf den Folien zu einem Werk zusammen. Eine bewährte Formulierung dafür lautet z.B.: „Der Foliensatz insgesamt und seine Texte stehen als Gesamtwerk unter der Lizenz … Einzelne Elemente wie Grafiken, Abbildungen etc. sind eigenständig lizenziert.“

Ein Graubereich besteht bei der Frage, ab wann das Layout eines Foliensatzes einen urheberrechtlich Schutz und damit eine eigenständige Lizenzierung erfordern kann. Wer ein Layout selbst erstellt, kann im Zweifelsfall mit einem entsprechenden Hinweis für Klarheit sorgen, z.B.: „Das Layout der Folien kann keinen urheberrechtlichen Schutz beanspruchen und ist für Zweifelsfälle im Sinne von CC0 freigegeben.“

Zoom, Foto: jeanbaptisteparis (via Flickr), CC BY-SA 2.0.

zu C.) Wer in seinen Folien Zitate (auch Bildzitate) nutzt, kann sich unabhängig von freien Lizenzen auf das Zitatrecht nach §51 UrhG berufen. Ein Zitat fällt also nicht unter eine freie Lizenz, was auch durch einen entsprechenden Hinweis deutlich gemacht werden sollte. Eine Formulierung dafür kann zum Beispiel lauten: „Die verwendeten Zitate Dritter stehen nicht unter freier Lizenz. Sie können also nur zusammen mit diesem Werk verbreitet werden, solange eine Auseinanderung damit im Sinne von des Zitatrechts nach §51 UrhG gegeben bleibt.“

Übrigens: Symbole können oft als Emojis oder andere Unicode-Zeichen statt über eingebundene Bilddateien dargestellt werden. Unicode-Zeichen können indexiert und von Screenreadern erkannt werden, sie sind zudem gemeinfrei. Auch das „Creative Commons“-Symbol sowie die CC-Bausteine ab Unicode Version 13 werden als Zeichen zur Verfügung stehen.

Offene und empfehlenswerte Tools für Folien

Erstellung und Bearbeitung

Für die Erstellung und Bearbeitung von Foliensätzen gibt es unterschiedliche Programme und damit verbundene Dateiformate, die jeweils eigene Vor- und Nachteile in Sachen Offenheit haben. Einige Tools werden im folgenden exemplarisch dargestellt:

    Vorteile in Sachen Offenheit       Nachteile in Sachen Offenheit
Microsoft Office (.pptx)
  • PowerPoint ist der de-facto-Standard für Folien.
  • Auch andere Programme können das.pptx-Format öffnen.
  • Formal erfüllt das .pptx-Format nicht die höchsten Ansprüche an Offenheit. Für eine reibungslose Nachnutzung braucht es Microsoft-Produkte.
Libre Office (.odp)
  • Das .odp-Format gehört zu den quelloffenen OpenDocument-Standards für Bürodokumente.
  • Für die Nachnutzung ist man nicht an bestimmte Hersteller gebunden.
  • In der Praxis verfügen viele Nutzer*innen über keine Erfahrungen mit dem Format.
Google Slides
  • Durch die Nutzung im Browser ist keine eigene Software-Installation notwendig.
  • Foliensätze können einfach kopiert und zusätzlich in verschiedenen Formaten exportiert werden.
  • Google Slides selbst ist kein quelloffenes / frei-lizenziertes Tool.
SlideWiki
  • Ein auf Offenheit und Teilen hin optimiertes Tool.
  • Die Nutzung von SlideWiki braucht eine gewisse Einarbeitung bzw. Umstellung.
  • Die Usability ist nicht optimal.

Veröffentlichung

Werden Folien innerhalb eines Online-Angebots wie Google Slides oder SlideWiki erstellt, sind sie über diesen Weg auch direkt veröffentlichbar. Etwaige spätere Überarbeitungen oder Probleme mit diesem einen Online-Speicherplatz machen es oft jedoch nachträglich schwer, auf die tatsächlich in einem Vortrag verwendeten Folien zuzugreifen oder sie nachzunutzen. Vor diesem Hintergrund sollten die tatsächlich vorgetragenen Folien vor dem Vortrag einmalig in ein offenes Online-Archivsystem, wie etwa Zenodo, exportiert werden. Das hat zusätzlich den Vorteil, dass dabei weitere maschinenlesbare Attribute mit den Folien, z.B. Creative-Commons-Lizenz oder verwechslungssichere Identifikatoren für die beteiligten Urheber (ORCID), verknüpft werden können.


Alternatives Vorgehen am Beispiel von CodiMD
Der Artikel beschreibt die klassische Form der Gestaltung von Folien. Die alternative Gestaltung sieht vor, Folien nicht direkt als Folien zu erstellen, sondern die Präsentation aus einer hierfür gestalteten Datei zu generieren.
Aus OER-Perspektive ist insbesondere das Tool CodiMD (bzw. in der proprietären Version HackMD) für diese Herangehensweise relevant. Das Tool verfügt über einen Editor und einen integrierten Präsentationsmodus. Mit einem Klick lässt sich zwischen bearbeitbarer Datei und Präsentation hin- und herschalten. Geschrieben wird in der vereinfachten Formatierungssprache Markdown. Über das Teilen des Links zum Editor kann – ähnlich wie bei einem Etherpad – kollaborativ gearbeitet werden.
CodiMD ermöglicht auf diese Weise einfaches Teilen und Remixen von Markdown-Dateien, die zugleich als Folien präsentiert werden können. Die Veröffentlichung kann ebenfalls direkt über die jeweilige CodiMD-Installation erfolgen. Auch ist Barrierefreiheit gesichert, da die Markdown-Datei von Screenreadern unabhängig von der Präsentation gelesen werden kann.

Wenn zur Erstellung Offline-Anwendungen verwendet werden, können die fertigen Folien wie andere OER auch z.B. auf der eigenen Website oder in einem Repository veröffentlicht werden. Für Maschinenlesbarkeit sollte die Gesamtlizenz des Foliensatzes dann zusätzlich auf der jeweiligen Website angegeben und hierfür mit dem Creative Commons Licence Chooser erstellt werden.

Kollaboration bei Folien

Neben der vorgestellten Plattform SlideWiki gibt es für die verbreiteten Office-Pakete (Microsoft 365 mit PowerPoint, Google Docs mit Slides, Apples Keynote) jeweils Cloud-Dienste, die kollaboratives Erstellen und Bearbeiten von Foliensätzen ermöglichen.

Danksagung

Einige Benutzer*innen von Twitter haben unverzichtbare Anregungen für diesen Artikel gegeben. (Vgl. die Antworten auf diesen Tweet: https://twitter.com/Lambo/status/1248978987310874633)
Einige Gedanken, die im Artikel aufgegriffen werden, wurden kollaborativ in einem Workshop beim OERcamp 2017 entwickelt. Diese sind – natürlich – in einem offenen Foliensatz nachzulesen: https://www.joeran.de/powerpoint-fuer-oer/

Weitere Beiträge aus dieser Reihe

Creative Commons LizenzvertragDieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Lambert Heller, Jöran Muuß-Merholz und Nele Hirsch für OERinfo – Informationsstelle OER.

3 Kommentare zu “Der Gold-Standard für das vielleicht unterschätzteste Format: Präsentationsfolien als OER

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