Die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen OER und Open Source

Oliver Tacke im Interview für OERinfo

Code-Server Chromebook, Foto: Masahiko Ohkubo, CC BY 4.0.

Was haben OER und Open Source gemeinsam, was unterscheidet beide? Darüber spricht Oliver Tacke, der unter anderem mit an der Weiterentwicklung von H5P mitarbeitet. H5P ist eine Open Source-Software für interaktive Lerninhalte. Im Interview mit OERinfo erklärt Oliver Tacke außerdem, welche vielfältige Möglichkeiten auch Nicht-Programmierer*innen haben, Open Source Projekte aktiv zu unterstützen.

Oliver Tacke, Foto. privat, CC0
Oliver Tacke ist zum einen Teil Bildungsinformatiker und MOOC-Maker an der TH Lübeck, zum anderen selbstständiger IT-Freelancer. Er arbeitet u.a. mit an der Weiterentwicklung der Open Source-Software für interaktive Lerninhalte, H5P.

Die Verbindung zwischen OER und Open Source

OERinfo: Welche Verbindung siehst du zwischen Open Educational Resources/Open Education und Open Source?

Oliver Tacke: Am anschaulichsten ist vermutlich erst einmal das, was bei beiden als Produkt herauskommt. Auf der einen Seite sind das Lehr-Lernmaterialien, auf der anderen Seite ist es Software. Beides ist kostenlos nutzbar, was für viele Menschen vielleicht bereits das bedeutendste Kriterium ist. In der OER-Welt weiß man natürlich: Das greift zu kurz. Die Materialien sollen auch möglichst einfach veränderbar und kombinierbar sein, und das Weitergeben sollte keine Probleme machen. Das Gleiche gilt für Open Source-Software.

OER und offene Software teilen sich darüber hinaus aber auch andere Themen, die diskutiert werden. Ich denke da etwa an das Urheberrecht. Genau wie bei OER wird bei Software der Quelltext unter bestimmte Lizenzen gestellt, die regeln, was erlaubt ist und was nicht. Hier hat die Bildungswelt fast schon den Luxus, dass die Creative Commons-Lizenzen ein Quasi-Standard sind. Die Open Source-Nutzer*innen müssen sich mit mehreren, recht weit verbreiteten Lizenzen herumschlagen, bei denen es häufig spätestens beim Remix zu Unklarheiten oder Inkompatibilitäten kommt.

Ein weiteres Thema ist das Suchen und Finden von Inhalten oder Quelltexten. Hier hat meiner Meinung nach die Open Source-Gemeinde die Nase etwas vorn. Es kommt durchaus vor, dass jemand Quelltext nur auf seiner eigenen Website bereithält, aber in der Regel teilt und findet man ihn auf den bekannten großen Plattformen wie Github oder Gitlab. Ich glaube niemand käme da auf die Idee, für einzelne Länder oder Bundesländer eigene – abgeschottete und „inkompatible“ – Repositories anzulegen und sich dann über beschreibende Metadaten oder ähnliche Dinge den Kopf zu zerbrechen.

Plattformen wie Github oder Gitlab sind allerdings auch mehr als reine Datenspeicher. Sie erleichtern vor allem durch entsprechende Werkzeuge das Zusammenarbeiten an der Software.

Zu guter Letzt sehe ich auch noch Parallelen bei den Werten. Das kann ich für die IT-Welt nur anreißen, aber allen Interessierten möchte ich das Buch „Hackers“ von Steven Levy für die Hintergründe sehr ans Herz legen. Dort findet sich in der sogenannten Hacker-Ethik beispielsweise der Grundsatz:

„Der Zugang zu Computern und allem, was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert, sollte unbegrenzt und vollständig sein.“

Das ist für mich nah dran an der Idee von Open Education, die ja durch OER gefördert werden soll. Der Gedanke des Teilens findet sich allgemein darin ebenso wieder wie der Verzicht auf juristische Schranken oder andere Einschränkungen.

Ob sich die Pfade auch ähnlich entwickeln, wird die Zukunft zeigen. In der Softwarewelt tobte ja lange Zeit ein Streit zwischen „offen“ und „geschlossen“, mit Vor- und Nachteilen auf beiden Seiten. Einige Scharmützel werden immer noch ausgefochten, aber ich würde behaupten: „offen“ ist überall und hat sich durchgesetzt. Und selbst Anbieter*innen von Software, die keine Produkte mit frei zugänglichem Quelltext vertreiben, heben dann immerhin hervor, dass ihre Programme offene Standards unterstützen oder offene Schnittstellen mitbringen.

Kann man mit Open Source und anderen offenen Praktiken Geld verdienen?

OERinfo: Du arbeitest selbst u.a. mit an der Weiterentwicklung von H5P, einer Open Source-Lösung für interaktiven Content. Was entgegnest du Menschen die denken, dass sich mit Open Source und anderen offenen Praktiken ja kein Geld verdienen ließe? Stimmt das überhaupt?

Oliver Tacke: So oft höre ich diese Bedenken gar nicht. Und wenn man in die IT-Landschaft schaut, sieht man auch, dass das nicht stimmt. Da gibt es beispielsweise Joubel, die kleine aber feine Firma hinter H5P. Oder Moodle mit dem gleichnamigen Lernmanagementsystem. Die beschäftigen geschätzt 100 Mitarbeiter*innen, und zahlreiche Unternehmen bieten Dienstleistungen drumherum an. Und in ganz andere Sphären stoßen wir sogar vor, wenn wir die Bildungswelt verlassen. Dort gibt es noch weitaus größere Firmen, die Open Source-Produkte entwickeln oder Dienstleistungen darum herum anbieten.

Aber klar. Wenn jemand mit seinem Denken stark in der „alten Welt“ verwurzelt ist, dann könnte er oder sie annehmen, man könne mit offenen Praktiken kein Geld verdienen. Geht offenbar aber doch. Die zwei gängigsten Wege dabei sind wohl so etwas wie individualisierte Lizenzierung oder Dienstleistungen, die um die Software herum zusätzlich angeboten werden.

Individualisierte Lizenzierung heißt, dass beispielsweise Privatanwender*innen nichts für die Software zahlen müssen, wohl aber Unternehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen. Das gibt es in der OER-Welt in standardisierter Form ja auch durch die NC-Versionen der Creative Commons Lizenzen – mit den hoffentlich bekannten Problemen, die diese Lizenz im Zusammenhang mit Open Content bereitet.

Zusatzdienstleistungen rund um das kostenlose und quelloffene Produkt könnten etwa Support und Unterstützung bei Problemen sein, das Betreiben eines Servers mit der Software, Anpassung oder Erweiterung an individuelle Bedürfnisse, usw.

Selbstläufer sind diese Wege allerdings auch nicht. Neben einigen anderen Dingen brauchen sie eine ausreichend großen Basis an Nutzer*innen, von denen ja meist nur ein Bruchteil auch Geld in die Hand nimmt. Oft habe ich das Gefühl, viele Menschen machen sich keine Gedanken darum, dass Entwicklung und Bereitstellung von Open Source-Software auch Geld kosten. Sie nutzen die kostenfrei verfügbaren Programme bzw. die Infrastruktur im Netz gerne – ist halt da – aber wer zahlt den Entwickler*innen ihre Brötchen oder die Rechnungen der Server-Betreiber*innen? Das sind oft Unternehmen. Man könnte denken, dass es ja deren Problem ist, wenn sie so ein „dämliches“ Geschäftsmodell betreiben. Im schlimmsten Fall trägt es sich aber nicht, und dann wird die Software nicht mehr gepflegt, es gibt keine Hilfestellung mehr oder ein Dienst wird sogar ganz eingestellt.

Geld verdienen kann man also mit Open Source-Software. In der OER-Welt geht das sicher ebenfalls, allerdings sehe ich hier das oben geschilderte Problem in besonderem Maße, weil Geld in den Bereichen der Bildung weniger locker sitzt als in der Geschäftswelt.

Es ist sinnvoll Open Source zu unterstützen und jede*r kann es tun

OERinfo: Warum ist es sinnvoll, Open Source-Software zu unterstützen und selbst Open Source-Produkte zu nutzen?

Oliver Tacke: Es ist gar nicht per se sinnvoll, Open Source-Software zu nutzen. Es gibt sicher viele Fälle, in denen Closed Source-Software als einzige Option genau das bietet, was man gerade braucht. Oder es gibt eine offene Alternative, aber die wirkt nicht so elegant, erscheint umständlicher, man hat noch nicht 10 Jahre Erfahrung damit und scheut den Umstieg, usw. Dann gehört schon viel Idealismus dazu, sich darauf zu stürzen. Man gewinnt mit einer Open Source-Lösung dann allerdings auch deutlich mehr Freiheiten: Man ist nicht abhängig von dem einen Hersteller der Closed-Source-Software, von dessen Infrastruktur oder von seinen Preisvorstellungen. Man verringert Abhängigkeiten und tauscht Bequemlichkeit gegen „Empowerment“ – Autonomie, Selbstbestimmung, Mündigkeit. Deckt sich das nicht auch mit den Gedanken hinter Open Education?

OERinfo: Was kann ich, und was kann eigentlich jede*r tun, um Open Source zu unterstützen?

Oliver Tacke: Wenn ich darauf hinweise, dass ein Projekt ein Open Source-Projekt sei und sich jemand selbst einbringen könne, höre ich fast immer: „Ich kann aber gar nicht programmieren!“ Dazu verleitet natürlich das „Source“, also der Verweis auf den Quelltext. Die Möglichkeiten, Open Source-Projekte zu unterstützen, sind aber ziemlich vielfältig! Um da nicht vollends abzuschweifen, zähle ich einfach mal ein paar Möglichkeiten auf:

  • Programmieren lernen: Ist natürlich meist zu viel verlangt, aber immerhin ginge das. Der Quelltext ist ja offen.
  • Bei Beta-Tests helfen: Viele Open-Source-Projekte geben neue Funktionen vor der Veröffentlichung auch an sogenannte Beta-Tester*innen, die dann auf Probleme bei der Bedienung oder auf Fehler aufmerksam machen.
  • Fehler melden: Meist ärgert man sich als Anwender*in bloß über Fehler, aber gerade in Open-Source-Projekten ist es in der Regel auch jenseits von Beta-Tests einfach, Probleme zu melden. Nur das, was die Entwickler*innen kennen, können sie beeinflussen.
  • Fachlichen Input beisteuern: In Open-Source-Projekten sind nicht immer Leute vertreten, die sich perfekt mit dem Feld auskennen, in dem die Software später eingesetzt wird. Hier kann man sich einbringen, indem man beschreibt, weshalb eine bestimmte Funktion fehlt oder einfach unpassend gestaltet ist.
  • Tutorials erstellen: Viele Menschen wünschen sich Hilfestellung bei Programmen, bebilderte Anleitungen, Video-Tutorials – warum kein Wiki aufsetzen und bewerben, Videos erstellen und offen ins Netz stellen, usw.
  • Finanzieren: Es hilft schon, statt alles kostenlos zu nutzen vielleicht die günstigste Bezahloption zu wählen, auch wenn man die Funktionen gar nicht braucht. Für größere Sachen könnte man ein Crowdfunding organisieren oder Sponsoren suchen, usw.

Das Interview führte Gabi Fahrenkrog für OERinfo.

Creative Commons LizenzvertragDieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Gabi Fahrenkrog für OERinfo – Informationsstelle OER. und Oliver Tacke für olivertacke.de.

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